Mit sich selbst befreundet sein
Dem Aktivierungsprogramm des Sports sollte ein Passivierungsprogramm entsprechen, um hin- und hergehen zu können zwischen diesen beiden Polen der Aktivität und Passivität. Beim Passivierungsprogramm käme es darauf an, die Fähigkeit zur Muße und Gelassenheit zu entwickeln, denn auch die vorsätzlich genossene Passivität will trainiert sein. Dann kann Sport heißen, die Kunst des Müßiggangs zu pflegen, wie dies gewöhnlich der Lebenskunst nachgesagt wird. Das Selbst entzieht sich in dieser Zeit der Versuchung, zu vieles zugleich realisieren zu wollen; es gewinnt Zeit, da es zu wählen versteht und bereit ist, auf Möglichkeiten zu verzichten, sie sogar zu verschenken. Infolgedessen gelangt es endlich in den Besitz von Zeit und »hat Zeit« für sich, für andere und Anderes. So kommt es zu den beglückenden, erfüllten Stunden , zu der Zeitvergessenheit, die damit einhergeht und Sportlern wohlbekannt ist und um derentwillen allein es sich schon zu leben lohnt. In diesen Stunden kann das Selbst sich mit sich selbst und anderen beschäftigen, die Beziehung zu sich und anderen pflegen, Beziehungen der Selbstfreundschaft und der Freundschaft mit anderen gründen und aufrechterhalten. Es ist diese Zeit, in der andere Gedanken aufzunehmen und neue Gedanken zu denken sind, alte Erfahrungen zu verarbeiten und neue zu machen sind. In dieser Zeit lässt sich Atem holen, in ihr bilden sich wie von selbst die Ressourcen aus, aus denen heraus sich leben lässt; ansonsten kommt es zur Ressourcenvergeudung und Erschöpfung: Begriffe nicht nur für die äußere Ökologie der Welt, sondern auch für die innere Ökologie des Selbst.
Äußerlich geht es im Sport meist um eine Stärkung des Körpers, aber gerade dies ist innerlich von größter Bedeutung, denn der Körper kann vieles »verarbeiten«, was die Seele belastet,sodass die körperliche zugleich eine seelische Sorge ist. Da die Seele weit weniger fassbar ist als der Körper, besteht eine Option der Lebenskunst darin, auf dem Umweg über den Körper die Seele zu pflegen, für Psyche also Soma zum Ansatzpunkt zu wählen, Psychosomatik im umgekehrten Sinne. Die Physiotherapie kann unter diesem Gesichtspunkt als wahre Psychotherapie erscheinen, der Sport als eine Übung des Körpers zum Zweck einer Pflege der Seele. Die Einbettung in diesen übergreifenden Rahmen könnte einige Probleme auffangen, die der Sport sich im Zeitalter der Somatomanie eingehandelt hat: Er ließe sich nicht mehr nur als Selbstzweck begreifen, durch den er inhaltsleer wird und zur bloßen äußeren Form ohne inneren Sinn degeneriert, sodass sich gerade bei der »Topfitness« eines glanzvollen Sportlers unwillkürlich die Frage aufdrängt: Wozu eigentlich? Es käme darauf an, Sport nur in dem Maße zu betreiben, das vom jeweiligen Selbst als das ihm angemessene erspürt wird, dem Übermaß aber zu widerstehen, das von außen als Norm, von innen als Sucht, zu der Sport werden kann, das Selbst überkommt. Der erwünschten Weiterentwicklung eines humanen Sports könnte dies dienlich sein, und der Sport könnte letztlich zur Kunst, dem Leben Sinn zu geben, beitragen: das Leben so zu gestalten, dass es bejahenswert erscheint, und hierzu eine Arbeit an sich selbst, am eigenen Leben, am Leben mit anderen und an den Verhältnissen, die dieses Leben bedingen, zu leisten, um ein schönes und erfülltes Leben zu realisieren. Die Sorge hierfür lässt sich aber auch noch auf andere Weise intensivieren.
Wellness? Wellness! Die Kunst der Berührung
Wellness , ein altenglisches Wort, ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts zum neuen Begriff für seelisches Wohlbefinden ( well being) und gute körperliche Verfassung (fit ness ) geworden, auf den Weg gebracht von dem amerikanischen Sozialmediziner Halbert L. Dunn (1959), sicherlich zu dem Zweck, die moderne Suchenach Glück, pursuit of happiness , auf eine Integrität des Körperlichen und Seelischen auszurichten. Für die im 21. Jahrhundert um sich greifende Suche nach Wellness gibt es mehrere Erklärungen: Einerseits erscheint sie als ein Indiz für den wachsenden Leistungsdruck in modernen Gesellschaften und den daraus resultierenden Zwang zur körperlichen und seelischen Ressourcenbildung; andererseits als eine Folge der wachsenden Zahl älterer Menschen, die die ihnen verbleibenden Lebensjahrzehnte voll ausschöpfen wollen und dafür über einige materielle Mittel verfügen. Aber sie ist auch erklärbar als konsequente Fortsetzung des Projekts der Moderne, das
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