Mit sich selbst befreundet sein
Moderne einen regelrechten Körperkult ermöglicht: wie wild hinter dem Körper her zu sein, als verfüge das Selbst über keinen anderen Gegenstand seiner Zuwendung mehr; extreme Reaktion auf Entkörperung und Körperfeindlichkeit. Als Reaktion auf diese Reaktion kann die Arbeit an einer neuen Körperkultur verstanden werden, die bewusste Pflege des Körpers , eine Formgebung der Freiheit im Umgang mit ihm, um die sich die reflektierte Lebenskunst bemüht: Sie soll einerseits die Körperangst ( Somatophobie ), andererseits die Körperbesessenheit ( Somatomanie ) ablösen durch eine Befreundung mit dem Körper ( Somatophilie ). Dessen historisch lange währende Vernachlässigung, ja Verteufelung wäre so wieder gutzumachen, die Körperfixierung wieder zu korrigieren; Körpertherapien in unüberschaubarer Vielfalt widmen sich dieser Aufgabe. Die Freundschaft mit dem Körper zu pflegen erfordert jedoch nicht nur, ihn aus der Sicht des bewussten, integralen Selbst in seiner Eigenheit anzuerkennen, in seiner Freiheit zu belassen und doch eine starke Bindung zu ihm einzugehen. Sondern auch, keine Identität mitihm zu erstreben, keine Verschmelzung zum Einssein: eben kein Körper zu »sein«, sondern die Distanz zu ihm zu bewahren, die die Reflexion ermöglicht. Zu welchem Zweck? Um sich von ihm, wenn es erforderlich erscheint, auch zurückziehen zu können, und sei es nur in der Vorstellung.
Um ein Haben also geht es, das jedoch einer Beziehung der Freundschaft angemessen erscheint, insofern man einen Freund »hat« und nicht dieser Freund »ist«. Erst das bewusste, pflegliche Haben verwandelt die Fremdheit in Vertrautheit. Die enger werdende Beziehung des Selbst zu seinem Körper, der ihm fremd geworden ist, führt zu einer neuerlichen Aneignung des Körpers , getragen von der klugen Sorge für ihn , über die ängstliche Sorge um ihn hinaus. Die Aneignung begründet ein körperlich, seelisch und geistig nahes, gefühlvolles und überlegtes Verhältnis, wie es für eine Freundschaft typisch ist; das Selbst geht eine verantwortliche Bindung mit dem Körper ein, im Bewusstsein, zwar von Grund auf über ihn verfügen – aber auf jegliche Verfügung über ihn auch verzichten zu können. Die Befreiung des Menschen vom Körper hat diesen zum Gegenstand beliebiger Optionen und Operationen gemacht, die vor allem darauf zielen, sich all seiner unangenehmen Begleiterscheinungen zu entledigen. Die neuerliche Aneignung umfasst jedoch seine angenehmen wie unangenehmen Seiten: Wohlsein, Freuden, Lüste, Triebe, Begierden ebenso wie Unwohlsein, Ängste, Schmerzen, Verletzungen, Krankheiten, denn eine starke Erfahrung von Leben vermittelt der Körper nur in dieser Polarität. Soweit das Selbst bei seiner Aneignung des Körpers dessen Verfügbarkeit im Sinn hat, kann sie eine relative, begrenzte sein, wie sie im Verhältnis der Freundschaft wechselseitig gewährt wird, nicht jedoch eine absolute, beliebige, wie sie einseitige Herrschaftsverhältnisse charakterisiert. Nicht zu verfügen ist ohnehin über das Resultat einer Verfügung: Was immer mit dem Körper gemacht wird – es ist nicht ohne weiteres wieder rückgängig zu machen. Und alle eigene Verfügung kann nicht verhindern, dass auch andereund »die Verhältnisse« auf den Körper des Selbst einwirken – verfügbar bleibt lediglich die Haltung, die das Selbst dazu einnimmt.
Unverzichtbare Grundlage des bewussten Umgangs mit dem Körper und seiner Aneignung ist seine intime Kenntnis. Die über Jahrhunderte hinweg dominierende Körperverleugnung trieb allerdings eine Asomatognosie hervor, eine »fehlende Körpererkennung«, die keineswegs nur ein seltenes neurologisches Krankheitsbild darstellt, sondern zum Kennzeichen einer ganzen Kultur geworden ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund steht das bewusste Selbst den kaum bewussten körperlichen Vorgängen oft wie ein Fremder gegenüber. Dies durch eine Erkenntnis des Körpers, eine Somatognosie zu überwinden, dürfte schwierig sein, denn was im Körper geschieht, kann nicht ohne weiteres zum Gegenstand objektiver Erkenntnis werden, und die Erkenntnis, die dennoch zu gewinnen ist, ist oft nicht eindeutig. Mit Mitteln der Hermeneutik, mit einer Deutung des Körpers wäre daher ein Verständnis zu suchen, das gegebenenfalls das Verhalten neu zu orientieren erlaubt. Der Körper spricht, aber seine Sprache ist interpretationsbedürftig. Das Selbst kann dabei von der Einsicht ausgehen, dass der Körper weit mehr von sich »weiß«, als
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