Mit sich selbst befreundet sein
das Bewusstsein jemals wissen kann, und dass alle körperliche Erfahrung und kognitive Repräsentation den Reichtum des Geschehens im Körper nicht zu erschöpfen vermag. Anstelle umfassender Erkenntnis bemüht das Selbst sich daher um eine pragmatische Kenntnis des Körpers; es kann sich dabei vor allem des Gespürs bedienen, das dem Körper wohl mehr als irgendetwas sonst entspricht, und da das Gespür mit der Erfahrung wächst, ist es erforderlich, einen großen Reichtum an körperlichen Erfahrungen anzusammeln. Den »eigentlichen« Kern aber, die »Wahrheit« des Körpers auszumachen, dürfte trotz aller Hermeneutik unmöglich sein; Plausibilität muss für die Annahmen, mit denen das Selbst im Umgang mit ihm operiert, letztlich genügen.
Auf der Basis seiner Deutung ist der Körper anzueignen und zu pflegen mithilfe von Übungen. Die erste Aufgabe einer Asketik ist die Übung des Körpers . Exemplarisch lässt sich durch sie das Können im Umgang mit sich selbst erlernen und die Dreistufigkeit des Könnens einüben: Möglichkeiten der Verfügung über sich zu gewinnen, einzelne Möglichkeiten zu verwirklichen und sie exzellent zu verwirklichen. Die grundlegende Übung aber, die der Pflege des Körpers dient, ist seine Bewegung . Davon weiß auf poetische Weise Bettine von Arnim zu erzählen, die als Kind nichts so sehr liebte, wie über Stock und Stein zu springen: »Aber gewiss, solche Übungen, die einem die Natur lehrt, sind Vorbereitungen für die Seele, alles wird Instinkt, auch im Geist« ( Die Günderode , 1840). Neurobiologisch gesehen ist die ausreichende und reichhaltige Bewegung des Körpers unabdingbar für dessen umfassende und detaillierte Repräsentation im Bewusstsein, diese wiederum unverzichtbar für seine nuancierte Steuerung. Den Körper Schritt für Schritt in Bewegung zu setzen, führt zu einer »Selbstüberwindung«, bei der die Einsicht in den Sinn von Bewegung der notorischen Trägheit des modernen Körpers entgegenwirkt, wenigstens für einen Moment, um ihn wieder in Ruhe zu lassen, wenigstens für eine Weile: Darauf zu verzichten, ist möglich, zieht jedoch die Konsequenz einer eingeschränkten Verfügung über die eigene Körperlichkeit nach sich. Wer das starke Körpergefühl in solchen Übungen nicht freiwillig sucht, wird es wohl nur unfreiwillig im Schmerz wieder finden können. Denn der Körper verzeiht es nicht, wenn er negiert wird. Er bedarf der Aufmerksamkeit und Zuwendung, um aufzuleben. Als bloßer Körper ist er nichts, er muss vom Selbst durchdrungen sein und es selbst durchdringen, das ist der Sinn der Befreundung mit ihm. Ihm die Aufmerksamkeit und Sorge zu verweigern, hat zur Folge, dass er welkt und stirbt wie eine vernachlässigte Pflanze. Für einen Menschen, der das Leben für göttlich hält, kann die Pflege des Körpers daher nicht des Teufels sein. In antiker Zeit wurde diese Pflege sogar systematisch betrieben, um olympischeFeste des Körpers zu feiern, eine Idee, die in der Moderne erneut an Bedeutung gewann.
Körper, Sport und Lebenskunst
Bewegungskultur ist die Grundlage jeder Körperkultur. Sie wird zur Notwendigkeit in einer Zeit, in der die Eigenbewegung immer mehr durch technische Bewegung ersetzt wird. Techniken der Körperkultur sind die Übungen, die vollzogen werden, um auf sich einzuwirken, sich zu formen und zu transformieren. Übung wiederum, modern gesprochen das »Training«, ist das, was Menschen in der Moderne häufig erst im Umfeld des Sports vertraut wird, der nicht zufällig parallel zur technischen Moderne zur Massenbewegung geworden ist. Das »zentrale Segment moderner Körperkultur« (Volker Caysa, Körperutopien , 2002) ist der Sport, diese systematisch und oft in Wettkampfform betriebene Bewegung, mit einigen Begleiterscheinungen wie Fixierung auf Erfolg, Manipulation des Körpers, Spezialisierung einzelner Körperpartien, kommerzielle Nutzung, Normsetzung auch, zu der Sport wird, obwohl er doch von Grund auf nur eine Option sein kann. Medial vermittelt werden seine Normen vor allem in Form von Wettkampfergebnissen des Spitzensports, die von den ihnen zugrunde liegenden Anstrengungen nichts mehr ahnen lassen – versucht das Selbst sich dann an entsprechenden sportlichen Leistungen selbst, erfährt es nur Defizienz, ein unendliches Zurückbleiben hinter jeder Norm, statt den Sport als Möglichkeit einer Arbeit an sich selbst abseits aller Norm zu entdecken. Der Sport jedoch, der im Zuge einer neuen olympischen Bewegung seit 1896 zum
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