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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Menschen formieren sich Überlegungen etwa zum Sinn von Erfahrungen, zu Fragen von Leben und Tod, die Körper und Seele beeinflussen können. Denkprozesse und Anstrengungen des Denkens können den seelischen Energien eine Richtung geben oder sie überhaupt wecken, hervorlocken und anregen und, wenn es darauf ankommt, heilende Kräfte freisetzen, denn was heilt, sind die Kräfte des Körpers, der Seele und des Denkens eines Menschen selbst. Die Zeiten der »Wellness« sind Zeiten der Kunst, dem Leben immer von neuem Sinnlichkeit und »Sinn« zu geben. Die Kunst besteht darin, den Zusammenhängen des Lebens, des eigenen wie des Lebens überhaupt, nachzufragen, Lebensmuster zu klären und zu einer plausiblen Lebensphilosophie für sich zu kommen, auf deren Basis es sich leben lässt.
    Erscheint die Wellness nun allzu umfangreich und aufwändig?Glücklicherweise ist sie seit alters her auch einfacher zu haben, reduziert auf einen einzigen Akt, der alles in sich birgt, für dessen Vollzug das Selbst freilich eines anderen, und vor allem eines geliebten anderen bedarf: Den Akt des Liebens besingt schon das »Hohelied der Liebe« im Alten Testament als Kunst der Berührung auf allen vier Ebenen. Es handelt sich um eine noopsychosomatische Übung, bei der das Selbst sich wohl tut, indem es dem anderen wohl tut, ein Verschmelzen ineinander, eine Erfahrung der Transzendenz für einen Moment. Was dabei physiologisch, psychologisch, aber auch geistig vor sich geht, ist nicht zuletzt Gegenstand wissenschaftlicher Langzeitstudien: Das beim Liebesakt vermehrt produzierte Hormon Östrogen glättet die Haut und hält sie elastisch; Endorphine und Serotonin, die »Glücksstoffe«, die ausgeschüttet werden, stärken das Selbst seelisch und lassen sein Selbstbewusstsein geradezu unantastbar werden; die Hormone Adrenalin und Cortisol regen das Denken an und steigern Konzentrationsfähigkeit und Kreativität in solchem Maße, dass das Selbst sich frisch und munter dort ans Werk machen kann, wo es zuvor verzagen wollte und zu versagen drohte: All das ist der Gewinn derer, die eine ars amandi , eine Kunst des Liebens, zur Grundlage ihrer Lebenskunst machen. Entscheidend dafür ist jedoch nicht die wissenschaftliche Wahrheit, sondern die menschliche Wahrnehmung, die alle Ebenen des Selbst gleichermaßen bespielt sieht: So wird Fülle und Erfüllung durch Berührung und Berührtwerden erfahrbar. Die einsame Berührung, die dem Selbst in der hochtechnisierten Moderne ansonsten bleibt, ist nur die des technischen Mediums, zu der die Automatenstimme auffordert: »Touch the screen.« Aber die Berührung des Bildschirms wird von keinem Gegenüber beantwortet, sie kann die Berührung eines anderen Menschen und das Berührtwerden durch ihn nicht ersetzen. Brauchbarer ist da schon ein natürliches Medium wie das Wasser.
Überströmende Fülle und der letzte Tropfen:
Im Wasser leben
    Wellness mag eine spätmoderne Modeerscheinung sein. In einer archaischen Institution aber, die erneut den Mittelpunkt aller Wellnessbereiche bildet, hat das Wohlgefühl schon seit langem seine Heimat. 1799 berichtete ein italienischer Reisender von unglaublichen Dingen, die sich in Finnland zutragen: Dass Menschen sich bis zu einer halben Stunde in einem kleinen Raum aufhalten, der extrem erhitzt wird. Dass sie dann auch noch ins Freie hinauslaufen und sich im Winter im Schnee wälzen. Dass sie bei alledem »ganz nackt« seien, ja dass sogar Männer und Frauen nicht voreinander sich verbergen. »Die Bauern versichern, dass sie ohne diese Schwitzbäder die vielfachen Arbeiten, die sie verrichten, nicht bewältigen würden.« Kein Zweifel, man hat es mit dem Kulturgut der Sauna zu tun, das zum Genialsten gehört, was Menschen je erfunden haben. Saunieren erlaubt den Schulterschluss des modernen mit dem archaischen Menschen: Archaisch ist das Gefühl der Nacktheit, archaisch die Blockhütte, in der man sitzt und schwitzt, archaisch das offene Feuer, auch wenn es nur ein simuliertes ist. Wieder ursprünglich zu leben, wenigstens für eine Stunde, einen Tag: Wer die Moderne nicht auf diese Weise in sich selbst pausieren lässt, bleibt ihr ausgeliefert ohne Unterlass.
    Den gesamten Körper der Berührung durch Hitze, Schweiß, Wasser, frische Luft auszusetzen: Das ist Saunieren , eine häufig einzusetzende Technik der Körperkultur, die, wie jede und jeder an sich selbst erfahren kann, signifikante psychische Konsequenzen mit sich bringt, eine ebenso einfache wie

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