Mit verdeckten Karten
haben könnte und nun womöglich seine heißgeliebte Schwester Lena anstecken würde (oder inzwischen bereits angesteckt hatte). Offenbar war Russanows Beziehung zu seiner Schwester tatsächlich so außerordentlich eng und intensiv, wie er es selbst geschildert hatte. Selbst in dem Augenblick, in dem er erfuhr, daß seine Frau ihn mit seinem Freund betrogen hatte, dachte er nur an seine Schwester. Und vielleicht hatte er begonnen, Platonow zu hassen, weil er auch Lena betrogen hatte und tief genug gesunken war, um mit der Frau seines Freundes zu schlafen. Wahrscheinlich hatte Russanow die Achtung vor seinem Freund verloren. Ein Schurke, der die Frau seines engsten und ältesten Freundes nicht in Ruhe hatte lassen können. Ein Idiot, der sich mit einer Schlampe einließ, die es vor ihm bereits mit wer weiß wem getrieben hatte. Man konnte in das Bett einer solchen Frau steigen, warum nicht, aber Platonow war danach zu einer wunderbaren jungen Frau gegangen, die ihn liebte und ihm ahnungslos vertraute.
Es war durchaus denkbar, daß Russanow Dmitrij zu hassen begonnen hatte. Und das warf ein ganz neues Licht auf die Dinge . . .
2
Dmitrij spürte mit jeder Faser seines Körpers, daß die Zeit verging. Ihm war immer noch nichts eingefallen, und es schien, als würde mit jeder Minute ein Stück seines Lebens schwinden. Jeden Moment konnte Kira zurückkommen, und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Die einzig richtige Taktik schien darin zu bestehen, sich so zu verhalten, als sei nichts passiert. Nur so konnte er versuchen, sich zu retten. Aber diese Taktik konnte nur dann funktionieren, wenn Kira nicht geisteskrank war. Nur dann konnte er ihr Verhalten wenigstens in etwa abschätzen und berechnen. Und wenn sie doch verrückt war? Eine unzurechnungsfähige Geisteskranke, der jeden Augenblick sonst etwas in den Sinn kommen konnte?
Ich muß es tun, sagte sich Platonow, während er kopflos in der Wohnung umherging, ich muß meine ganze Kraft zusammennehmen und es tun. Zumal ich es gestern morgen bereits angedeutet habe. Ich muß genauso weitermachen wie bisher, so, als wüßte ich von nichts, als hätte ich nie einen Revolver entdeckt. Jetzt verstehe ich, warum sie keine Wirkung auf mich hatte, obwohl sie so schön ist. Sie ist anders als andere Frauen. Lieber Gott, wie soll ich es machen? Woher die Manneskraft nehmen? Und wenn ich versage? Dann wird sie gleich wissen, daß ich alles durchschaut habe. Ein normaler Mann kann nicht mit einer Mörderin schlafen. Und wenn es mir nicht gelingt, wenn ich versage, dann wird sie sofort wissen, warum.
Er begriff nicht, warum Kira noch nicht zurück war, und wurde immer nervöser, weil er nicht einschätzen konnte, wann sie auftauchen würde und wieviel Zeit er noch hatte. Endlich gelang es ihm, sich zu konzentrieren und in Gedanken wenigstens das vage Sujet jenes Stücks zu entwerfen, das er nach Kiras Rückkehr würde spielen müssen.
Wenn sie die Wohnung betrat, würde er so tun, als schliefe er. Er würde eine Weile still liegen, lauschen, was sie tat, und dann »aufwachen«. Er würde sie rufen, sie bitten, sich zu ihm aufs Sofa zu setzen, und dann . . .
Doch nein, das war es wahrscheinlich doch nicht. Er würde in der Küche sitzen und so tun, als sei er in schwerwiegende Gedanken versunken. Er würde ihr nicht entgegengehen, nicht auf den Flur hinaustreten, sondern darauf warten, daß sie zu ihm kam. Dann würde er mit tragischer Stimme etwas Herzzerreißendes von sich geben und versuchen, einen möglichst leidenden Eindruck zu machen. Er würde an ihr Mitleid appellieren und sich darüber beklagen, daß er keine Möglichkeit hatte, sich ihr gegenüber wie ein Kavalier zu verhalten und ihr den Hof zu machen, so, wie eine schöne Frau es verdiente, weil er durch die Intrigen von Bösewichten an diese Wohnung gefesselt war . . .
Er konnte sich auch im Flur aufstellen wie ein Götze, sie mit traurigen Augen ansehen und dann kaum hörbar, aber eindringlich sagen: Mein Gott, Kira, meine Liebe, ich hatte solche Angst, ich dachte plötzlich, du kommst nicht wieder, und ich habe verstanden, wieviel du mir bedeutest. . .
Dmitrij ging noch einige mögliche Varianten der Annäherung durch und kam am Ende doch zu keinem Schluß. Er wollte es dem Zufall überlassen. Sollte es kommen, wie es kam.
3
Es ging unmerklich auf den Sonntag abend zu, und Nastja kam es vor, als würde dieser Sonntag schon drei Tage dauern. Vielleicht deshalb, weil sie bereits um vier Uhr morgens
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