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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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man selbst. Kira konnte sich auf das Wesentliche konzentrieren und ließ sich von nichts ablenken.
    Inzwischen waren sechs Wochen vergangen, ganze sechs Wochen, und nun hatte ihr Plan sich gegen sie selbst gerichtet.
    Nach dem ersten Mord hatte sie mit einem neuen, ihr bisher völlig unbekannten Gefühl die Meldungen aus dem Polizeibericht im Fernsehen verfolgt. Sie werden mich nicht finden, dachte sie triumphierend, sie werden mich niemals finden.
    Nach dem zweiten Mord fuhr sie auf die Shitnaja-Straße und blieb direkt vor dem Eingang zum Ministerium für Innere Angelegenheiten stehen. Die Mitarbeiter des Ministeriums gingen in Uniform und in Zivil an ihr vorüber, manche fixierten die schöne junge Frau mit einem ihr gut bekannten Blick und gingen weiter, aber sie blieb mit einem Gefühl ungewöhnlicher Erregung stehen. Ihr seht mich, dachte sie, ihr könnt mich sogar berühren, aber niemand von euch ahnt, daß ich die bin, die ihr sucht. Ich bin eine Verbrecherin. Ich bin eine Mörderin. Ihr müßtet mich auf der Stelle verhaften und ins Gefängnis bringen, aber ihr geht an mir vorbei, lächelt mir zu und denkt daran, daß ihr gern mit mir ins Bett gehen würdet. Kira Lewtschenko war erregt, wie betrunken von ihrem Geheimnis, selten in ihrem Leben hatte sich ihrer so ein Hochgefühl bemächtigt.
    Auch nach dem dritten Mord ging sie wieder auf die Shitnaja-Straße. Das Ministerium zog sie an wie ein Magnet. Hier geschah es auch, daß sie zum ersten Mal Dmitrij Platonow erblickte, der vor ihren Augen in sein schönes, teures Auto stieg. Wegen des Autos war er ihr überhaupt erst aufgefallen. Sie hatte ihn unverwandt angesehen und sich sein Gesicht gemerkt. Es wird nicht mehr lange dauern, hatte sie gedacht, dann werde ich auch so ein Auto haben, nein, nicht so eins, sondern ein viel besseres als du. Ich werde es haben, weil es dir nie gelingen wird, mich zu finden.
    Nach dem vierten Mord begegnete sie Platonow in der Metro wieder. Er hielt sich mit einer Hand am Griff fest, hatte die Stirn auf den Unterarm gesenkt und schien im Stehen zu schlafen. Er wirkte abgekämpft und erschöpft, und Kira begann, ihn mit Interesse zu betrachten und sich zu fragen, warum er, statt in seinem luxuriösen Wagen, mit der Metro fuhr. Ihre Augen begegneten sich, und in Kira erwachte die Leidenschaft der Spielerin . . .
    Sie wußte, was sie tun mußte, um in einem Mann, der ihr gefiel, das Interesse an sich zu wecken. Alles kam genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Während sie von der gesamten Moskauer Miliz gesucht wurde, machte sie die Bekanntschaft eines Kripobeamten. Mehr noch, sie wurde zu seiner Verbündeten und genoß jede Minute mit ihm, weil sie in jeder dieser Minuten die fast unerträgliche Süße des tödlichen Risikos spürte. Sie fuhr aufs Land, um ihr nächstes Opfer zu töten, und er, der Ermittlungsbeamte, brachte sie zur Tür und bat sie, so bald wie möglich zurückzukommen, weil er sie brauchte. Sie kehrte nach Hause zurück und spürte bei jedem Schritt den Revolver, mit dem sie vor zwei Stunden einen Menschen erschossen hatte, den Revolver, der jetzt hinter dem Bund ihrer Jeans steckte, unter dem weiten Pullover, und der Mann von der Kripo erwartete sie an der Tür, er freute sich über ihre Rückkehr und wärmte das Essen für sie auf. Keine Droge der Welt hätte ihr so einen Kick verschaffen können wie dieses Spiel. Und vor ihr lag noch eine weitere neue Erfahrung, falls sie sich entschließen sollte, mit Platonow zu schlafen. Auch das konnte sehr interessant werden.
    Platonow gefiel ihr, sie war aufrichtig bereit, ihm zu helfen, sie wollte, daß er aus seiner unangenehmen Lage wieder herauskam, sein normales Leben wieder aufnehmen und wieder als Kripobeamter arbeiten konnte. Kira wünschte ihm nichts Böses, sie war ihm dankbar für die Tage und Stunden, die sie mit ihm verbringen durfte, für dieses ungewöhnliche Hochgefühl, das sie empfand, während sie mit ihm, dem Ahnungslosen, ihr abenteuerliches, gefährliches Spiel spielte. Sie bemühte sich, alle seine Anweisungen so gewissenhaft wie möglich auszuführen, und empfand dabei in aller Schärfe, daß er, der Oberstleutnant aus dem Innenministerium, sein Leben in ihre Hand gelegt hatte. Sie lächelte in sich hinein. Unvorstellbar. So etwas konnte sich niemand ausdenken, das war die reinste Phantastik.
    Jetzt aber war aus dem Spiel Ernst geworden. Dimas Leben lag nun wirklich in ihrer Hand, denn sie hatte den Auftrag bekommen, ihn zu

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