Mit Zähnen und Klauen: Horror-Thriller von Bestseller-Autor Craig DiLouie (German Edition)
zu neuen Befehlen und stellte sie bei den Unteroffizieren zur Diskussion. Dann wies er das Platoon an, auf Zivilisten zu feuern.
Im Irak arbeitete Kemper ihn fast ein Jahr lang ein und sah ihn zu einem intelligenten Befehlshaber heranreifen, der auf seine Männer achtet und vorneweg marschiert, statt sich zurückzuhalten. Dies aber ist eine völlig neue Situation. In einem solchen Albtraum mag ein Kommandant Entscheidungen aufschieben, überstürzt treffen oder beides. Vorschnelle wie unentschlossene Anführer laufen Gefahr, den Tod ihrer Männer zu verschulden.
Es war richtig, das Feuer auf die Zivilisten eröffnen zu lassen, zog man die Zahl der Angreifer in Betracht. Hätte Bowman das Platoon nicht zum Schießen angehalten, wäre es überrannt und umgebracht worden. Diese Richtigkeit ergab sich jedoch erst rückblickend, denn genauso hätte es sich nur um eine Handvoll Aggressoren handeln können. In dem Fall würde man den Lieutenant jetzt für einen Eiferer halten, der allzu schnell neue Einsatzregeln etablieren will, damit er auf die Zivilbevölkerung schießen kann.
Die Sache ist die: Bowman hätte falsch liegen können – furchtbar falsch. Deshalb sinnt Kemper weiter darüber nach, ob sein Vorgesetzter ein durchdachtes, berechnetes Risiko einging oder panisch handelte. Nicht, dass er ihm nicht gewogen wäre, aber er ist sich nicht sicher.
Als er hereinkommt, sitzt der Lieutenant im Lichtkegel der Schreibtischlampe und blickt starr auf das Funkgerät vor sich. Dann sieht er hoch und hebt müde eine Hand. Er trägt keinen Mundschutz.
»Falls Sie kommen, um mich unter Arrest zu stellen«, beginnt er. »Das habe ich bereits selbst versucht.«
Der Platoon Sergeant blinzelt. »Sie unter Arrest stellen?«
»Für meinen Verstoß gegen Artikel 118 des Militärjustizgesetzes, Mike.«
»Mord?«
Der Lieutenant nickt und ergänzt: »Dafür, dass ich meine Leute zu einer Rotte von Kindermördern gemacht habe.«
»Mein Gott, ich bin nur gekommen, um mich zu vergewissern, ob Sie einen Nachbericht hören wollen.«
Bowman sagt nur: »Gewissermaßen …«
Kemper nimmt Platz, nimmt seine Maske ab, zündet den Stummel einer übelriechenden Zigarre an und seufzt, als er eine lange Rauchfahne ausatmet.
»Sie möchten wissen, was ich denke?«
»Genau, Mike. Das möchte ich.«
Er hätte Schwierigkeiten, es zu erklären, doch Kemper geht es im Augenblick nicht um den moralischen Aspekt einer Hinrichtung. Moral ist Luxus in einer Situation wie dieser. Vielmehr liegt ihm die offene Frage nach dem Urteilsvermögen des Lieutenant am Herzen. Eine Frage, deren Antwort er womöglich nie erfährt.
»Lieutenant, was heute Abend hier geschah, ist schrecklich, doch Sie bewegten sich im Rahmen der Einsatzregeln und hatten nur wenige Sekunden Zeit zur Entscheidung, um ihr Platoon zu schützen«, fasst er wahrheitsgemäß zusammen. »Das menschliche Gewissen ist eine Sache für sich, aber die Army wird die Ansicht vertreten, dass Sie richtig gehandelt haben.«
»Das hat auch Captain West gesagt.«
»Sie erzählten ihm von dem Vorfall? Was meinte er noch?«
»Er sagte: ›Ich habe genug Ärger am Hals, also führen Sie ihre verfickten Befehle aus.‹ Zitat Ende.«
Kemper lehnt sich auf dem Stuhl zurück und lässt das Gehörte sacken.
»Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Haben Sie sich an irgendeinen anderen Zugführer gewendet?«
»Das ist gerade das Problem, Mike: Die Einsatzleiter von Operation Quarantäne beschneiden das Netz um alle Frequenzen, außer den Notfunk. Da ist etwas Gewaltiges im Gange, und wir werden ausgeschlossen. Ich habe keinerlei Informationen zur Hand, nicht einen Ausschnitt vom großen Ganzen.«
Kemper begreift so langsam, wie Bowman tickt: Die Lage hat sich verändert, und mit ihr der Regelkanon, also will er den Grund dafür herausfinden. Gelingt ihm das, kann er stimmige Entscheidungen treffen und vielleicht vor sich selbst rechtfertigen, warum er seinen Männern befahl, über 40 Zivilisten kaltblütig niederzuschießen.
»Momentan fühlt sich jeder dreckig und außerstande, seine Uniform zu tragen. Die Moral ist am Boden, also können wir vor den Jungs nicht wankelmütig auftreten. Sie brauchen uns als ihre Anführer.«
Bowman erstarrt, bevor er verlegen lächelt. »Es geht demnach jetzt überhaupt nicht um mich?«
»Nein, Sir«, bestätigt Kemper geruhsam.
»Was ich an dem ganzen Durcheinander so verrückt finde, ist der Eindruck, wir befänden uns in einem fremden Land und seien unser
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