Mitarbeiter sind so verletzlich
Dazu einen ratlosen, zugleich aber durchaus fähig erscheinenden Niederlassungsleiter.
Die Auswertung von – zuerst vom Betriebsrat bekämpften – anonymen Fragebogen und anschließenden intensiven Gesprächen zeigten, dass die massive Ablehnung gegen den Niederlassungsleiter offensichtlich nur Ventilfunktion hatte. Die tatsächlichen Ursachen schienen wesentlich tiefer (oder woanders?) zu liegen. Nach einer Unternehmensfusion waren die desorientierten Mitarbeiter jahrelang von einem wenig entscheidungsfreudigen Leiter und den darüberliegenden Hierarchieebenen vielfach schlicht „verschaukelt“ worden. Man hatte Versprechungen nicht eingehalten, engagierte Mitarbeiterinitiativen ins Leere laufen lassen, scheinbar ohne Anlässe Kündigungen ausgesprochen und gezielt Desinformation betrieben. Entscheidungen der ausländischen Unternehmensmutter wurden vom Vorstandsvorsitzenden scheinbar ohne Wenn und Aber diskussionslos durchgesetzt. Die Mitarbeiter aller (!) Niederlassungen in Deutschland hatten darauf mit der üblichen Formierung von Zweckgemeinschaften reagiert. Man baute emotionale Mauern , übte sich im Nörgeln und pflegte nicht nur den Austausch der jeweils neuesten Gerüchte, sondern auch „die hohe Kunst“ der passiven Resistenz. Da die nun von uns zu betreuende Niederlassung der deutschen Unternehmensleitung am wichtigsten war, hatte man kurz vor dem Einschalten meines Teams den schleppend agierenden Niederlassungsleiter gegen einen Mann der „Hard-Core-Klasse“ ausgetauscht.
Der neue Leiter kam aus einem jungen Team, das seine Denk- und Handlungsweisen nachgelebt hatte und damit erfolgreich war. In seiner neuen Arbeitsstätte aber traf er auf ein wesentlich älteres, auf Trotz und Widerstand eingeschworenes Team, das von innerer Kündigung und totalem Misstrauen gegenüber allen Führenden geprägt war. Direkt bei Antritt der neuen Führungskraft „unterstützte“ die Geschäftsleitung diesen mit der Entlassung weiterer „schwieriger“ Mitarbeiter. Diese jedoch hatten bis zu ihrem Ausscheiden genügend Zeit, Misstrauen und Ablehnung zu säen. Erst als scheinbar nichts mehr ging, rief man nach uns. Nach unseren Recherchen informierten wir den Vorstand und baten ihn, uns (also meinem Team und den Mitarbeitern der Niederlassung) für ein Quartal absolut den Rücken frei zu halten, uns weder mit (zu erwartenden) erneut schwachen Umsatzzahlen verbal zu belasten, noch in den nächsten Wochen weitere Personalveränderungen vorzunehmen. Wir wollten einfach Ruhe zum Arbeiten haben. Man versprach uns, sich daran zu halten und uns mit dem Team alle Chancen zu geben. So schafften wir es tatsächlich, das Vertrauen des Teams zu gewinnen und es in heißen Diskussionen und intensiven Workshops für neue, gemeinsam formulierte Ziele zu begeistern. Man definierte und unterschrieb interne Vereinbarungen zum ethisch richtigen Umgang miteinander und erarbeitete zahlreiche Lösungsansätze, um das Team wieder erfolgreich werden zu lassen. Den von mir gecoachten, klugen und sehr lernbereiten Niederlassungsleiter hatte ich zu Anfang aus dem Projekt „ausgeklinkt“. Nun stieß er nach einigen Wochen wieder zum Team und – es war kaum zu glauben – wurde in die neu formierte, an den selbst gesteckten Zielen begeistert arbeitende Gemeinschaft weitgehend offen aufgenommen.
Wir hatten es fast geschafft. Stolz verwiesen wir in einem Fax an unseren Auftraggeber, einen Bereichsvorstand, auf die ersten sicht- und messbaren Ergebnisse. Noch drei oder vier Wochen und wir würden uns langsam aus dem Team zurückziehen können. Ein ehemals widerspenstiger Haufen von sich „in Notwehr“ solidarisierenden Mitarbeitern war auf dem besten Weg, in den nächsten zwei Monaten zu einem „ Winning Team “ zu werden. Dabei lagen wir mit unseren Erfolgen weit vor den geplanten Terminen. Gestern rief mich der Niederlassungsleiter an und teilte mir mit, dass er zum Vorstandsvorsitzenden gerufen worden war. Dieser hatte ihm mitgeteilt, dass seine und andere Niederlassungen aufgelöst würden. Einigen älteren Mitarbeitern würden Auflösungsverträge angeboten werden. Andere würde man auf unterschiedliche Unternehmensbereiche verteilen. Er selbst müsse in vier Wochen die Niederlassung in einer anderen deutschen Großstadt übernehmen. Ein sofortiger Anruf meinerseits bei meinem Auftraggeber – einem Bereichsvorstand – ergab, dass auch er bis zu dieser Stunde angeblich nichts von den (einsamen?) Entscheidungen seines
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