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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Gesagte auch.
    Die Botschaften können einander in kongruenter oder in inkongruenter Weise qualifizieren. Auf welche Weise werden Mitteilungen qualifiziert? Haley unterscheidet vier Möglichkeiten:

    Qualifikation durch den Kontext: Wenn ein Ehemann angesichts einer angebrannten Kohlroulade sagt: «Ich bewundere deine Kochkünste!», dann qualifiziert der Kontext das Gesagte in inkongruenter Weise. Hier ist es also nicht ein Bestandteil der Nachricht selbst, der zu anderen Bestandteilen unstimmig ist, sondern sind es offenkundige Sachverhalte in der Situation.

    Qualifikation durch die Art der Formulierung. Die Art, wie jemand einen Sachverhalt formuliert, qualifiziert das Gesagte. Zum Beispiel wird jemand nach einer Magenverstimmung gefragt, wie es ihm gehe. Die Antwort lautet: «Ich bin todkrank!» Die übertreibende Formulierung qualifiziert den Inhalt der Aussage in inkongruenter Weise. Oder in einer Diskussion um die Frage, ob man den Strafvollzug humaner gestalten sollte, sagt jemand: «Ich wäre dafür, aus den Gefängnissen Sanatorien zu machen, weil doch kriminelle Taten einen Beweis dafür darstellen, dass der arme Täter krank ist und nichts dafür kann. Also muss er doch geheilt und gepflegt werden.» – Wenn wir als Empfänger diese Aussage hören, werden wir unsicher: Ist das so seine Meinung, oder karikiert und ironisiert er einen Standpunkt, den er sich selbst gerade nicht zu eigen machen möchte? Die überspannte Formulierung («Sanatorium») stellt eine wahrscheinlich inkongruente Qualifizierung dar.

    Qualifizierung durch Körperbewegungen (Mimik und Gestik). Etwa kann eine positive Beziehungsaussage («ich mag dich») von einer ablehnenden Körperbewegung begleitet sein. (Weitere Beispiele s. Abb. 8.)

    Qualifizierung durch den Tonfall. «‹Wir werden uns freuen, Sie zu sehen›, sagte die Fürstin trocken. Der kühle Ton, in dem ihre Mutter sprach, berührte Kitty peinlich, und sie konnte nicht umhin, wieder gutzumachen, was er etwa verdorben haben mochte. Sie wandte den Kopf um und sagte lächelnd: ‹Auf Wiedersehen!›» – So ergeht es dem jungen Ljewin in Tolstois «Anna Karenina». Natürlich ist ihm bewusst, dass der sprachliche Inhalt der Nachricht («Wir werden uns freuen …») den artigen Gepflogenheiten des Umgangs unter Adeligen Genüge tut, hingegen die «eigentliche» Botschaft stets nur dem Tonfall entnommen werden kann. Kommunikationstherapeuten sind darin geübt, auf derartige Inkongruenzen zu achten und den Sender darauf aufmerksam zu machen («Du sagst, Helmut, du seist sehr traurig – und lachst dabei?»). Oft fühlt sich der Angesprochene ertappt und getadelt und «will es auch nicht wieder tun». Jedoch sind Inkongruenzen nicht wie eine «dumme Angewohnheit» zu behandeln. Wichtiger ist, herauszufinden, was dahintersteckt. Bevor wir einen Blick auf die seelische Dynamik des Senders werfen, wollen wir uns zunächst in die Situation des Empfängers versetzen.

    Der Empfänger in der Zwickmühle. Inkongruente Nachrichten sind für den Empfänger natürlich verwirrend – soll er der Mitteilungsebene oder der Metaebene Glauben schenken? Vollends in eine Zwickmühle gerät er, wenn man die Appellseite der Nachricht mit in Betracht zieht: Im Beispiel der Abb. 8 a scheint der sprachliche Teil der Nachricht zu sagen: «Kümmere dich nicht weiter um mich!» – der nichtsprachliche Teil dagegen wirkt wie ein Hilferuf und legt den Appell nahe: «Kümmere dich um mich!» – Angesichts derart widersprüchlicher Handlungsaufforderungen (s. Abb. 9) ist der Empfänger in einer bösen Situation. Wie immer er reagiert, der andere kann ihm einen Strick daraus drehen. Kümmert er sich, bekommt er eine Abfuhr («Ich habe doch deutlich gesagt, es ist alles o.k., Herrgott noch mal!») – Kümmert er sich nicht, spielt der andere den Beleidigten und «straft» auf diese Weise.

    Abb. 9:
    Inkongruente Nachrichten enthalten widersprüchliche Handlungsaufforderungen und schaffen dadurch eine verrückt machende Doppelbindung.
    Solche Verwirrspiele sind unter dem Fachbegriff «Doppelbindung» (double-bind, vgl. Watzlawick 1969) in den letzten Jahren eingehend untersucht und mit der Entstehung von schizophrenem Verhalten beim Empfänger in Zusammenhang gebracht worden. Inkongruente Nachrichten wirken vermutlich vor allem dann als Krankmacher, wenn der Empfänger vom Sender abhängig ist, der Situation nicht entfliehen kann und nicht zur Metakommunikation fähig ist; dies alles

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