Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
trifft vor allem auf Kinder im Elternhaus zu. Nach dieser Sichtweise stellt die Schizophrenie eine Art Notlösung dar, um mit der «verrückten» Situation fertig zu werden.
Inneres Kuddelmuddel beim Sender. Was veranlasst nun den Sender, derartige Verwirrpakete zu produzieren? Die erste Frage lautet immer: Welchen Vorteil könnte ein solches Verhalten mit sich bringen? Inkongruente Nachrichten haben den Vorteil, dass der Sender sich nicht ganz festlegt. Notfalls kann er dementieren und sagen, so habe er das nicht gemeint.
Ein weiterer Vorteil ist aus dem Beispiel aus «Anna Karenina» (vgl. S. 41) zu ersehen: Die Fürstin kann ihre eigentliche Botschaft («Bleiben Sie uns vom Halse») an den Mann bringen, ohne gegen die Standesregeln der Höflichkeit zu verstoßen. Devise: Es tun, aber es hinterher nicht gewesen sein («Wieso? Ich habe doch ausdrücklich gesagt, wir würden uns freuen, Sie zu sehen!»). Eine solche Kommunikation mit «doppeltem Boden» ist dem Sender teils nicht bewusst – oft sind es die unbewussten, uneingestandenen Wünsche, die sich durch den nicht-sprachlichen Kanal zur Geltung bringen.
Dies ist auch bei folgender Situation der Fall: Der Sender hat «zwei Seelen in seiner Brust», ist mit sich selber nicht ganz im Reinen. Einerseits möchte er dieses, andererseits aber auch jenes, verschiedene Strebungen und Gefühle ziehen nicht am gleichen Strang. Es herrscht inneres Kuddelmuddel. Sofern der Sender dieses Kuddelmuddel noch nicht sortiert hat, kann es geschehen, dass es unsortiert nach außen dringt. Die inkongruente Nachricht erweist sich so als ein Verschmelzungsprodukt aus zwei Botschaften.
So mögen im Beispiel der Abb. 9 die beiden inneren Zustände des Senders sein: 1. Mich beschwert etwas, und 2. ich möchte darüber jetzt nicht reden. Diese beiden inneren Zustände führen zu dem Verschmelzungsprodukt der inkongruenten Nachricht.
Abb. 10:
Die inkongruente Nachricht als Kompromissprodukt für zwei miteinander verschmolzene innere Zustände.
Inkongruente Nachrichten entstehen also vorzugsweise dann, wenn die Selbstklärung des Senders noch nicht zum Abschluss gekommen ist, er sich aber trotzdem veranlasst sieht, etwas von sich zu geben.
Ein anderes Beispiel. Zwei typische Seelen in der Brust von Eltern sind (Halpern 1978):
«Ich möchte, dass du selbständig und erwachsen wirst, dass du auf eigenen Beinen stehst und von mir unabhängig wirst.»
«Ich möchte, dass du mich immer brauchst, mich nicht verlässt und von mir so abhängig bleibst, wie ich von dir abhängig bin.»
Die entsprechende Doppelbotschaft auf der Appellseite, der sich heranwachsende Kinder häufig ausgesetzt sehen, lautet (s. Abb. 11):
Abb. 11:
Typischer Doppelappell von Eltern an ihre heranwachsenden Kinder.
So mag ein Elternteil einem jungen Erwachsenen sagen: «Ich möchte, dass du tust, was das Beste für dich ist – ich werde mit der Einsamkeit schon fertig.» Halpern schreibt: «Das Kind, das diese Doppelbotschaft empfängt: ‹Tu, was für dich am besten ist› und ‹Wenn du es tust, wirst du mich unerträglicher Einsamkeit aussetzen›, findet sich in einer Doppelbindung.» (1978, S. 14)
Bei den Eltern melden sich sozusagen zwei Persönlichkeitsinstanzen gleichzeitig zu Wort. Die eine Instanz ist die reife Erwachsenenpersönlichkeit, die in der Unabhängigkeit und Selbstfindung der Kinder ein erstrebenswertes Ziel sieht. Die andere Instanz ist das kleine Kind in der Person des Elternteiles, das Angst vor dem Verlassenwerden und dem Getrenntsein hat und durch Taktiken, die Schuldgefühle hervorrufen sollen, versucht, das Streben des Kindes nach Unabhängigkeit im Keime zu ersticken.
Was lässt sich tun, um ein solches inneres Kuddelmuddel zu entwirren? Indem der Empfänger dem Sender seine Verwirrung zurückmeldet, ermöglicht er diesem, genauer «hinzufühlen», was ihn bewegt, und zu mehr innerer Klarheit zu kommen. Selbstklärung erfolgt leichter im Gespräch als im «stillen Kämmerlein» – auf dieser Einsicht beruht auch die Gesprächstherapie. Allerdings muss der Sender eine solche Selbstklärung wollen – sie jemandem aufzuzwingen, führt dazu, dass dieser «dicht macht» und seinen dunklen Innenraum vor jeder Ausleuchtung mit Zähnen und Krallen verteidigt.
Im Umgang mit den zwei Seelen in der Brust geht die Gestalttherapie (Perls 1971) systematisch und eindrucksvoll vor: Der Sender führt einen inneren Dialog auf zwei Stühlen. Abwechselnd setzt er sich bald auf
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