Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Lupe:
Abb. 5:
Das Botschaftsgeflecht einer Nachricht, wie es unter der kommunikationspsychologischen Lupe sichtbar wird.
Bisher habe ich so getan, als ob das Drumherum von Botschaften immer eindeutig wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Wie wir sehen werden, kann das gesendete und das empfangene Botschaftsgeflecht erheblich verschieden sein (s. Kap. A II, 3, S. 67ff.).
Übungen
Legen Sie die folgenden Nachrichten unter die kommunikationspsychologische Lupe:
Ehepaar sitzt abends beim Fernsehen. Sagt der Mann: «Erna, das Bier ist alle!»
Lehrer geht den Flur entlang, um in seiner Klasse Unterricht zu halten. Da kommt ihm die zehnjährige Astrid entgegen und sagt aufgebracht: «Herr Meier, die Resi hat ihren Atlas einfach in die Ecke gepfeffert!»
Welches Gespräch, das Sie kürzlich mit jemandem geführt haben, kommt Ihnen in den Sinn? Besinnen Sie sich auf je eine Äußerung, die Ihr Gesprächspartner und Sie selbst getan haben, und analysieren Sie sie kommunikationspsychologisch!
Der folgende Ausschnitt stammt aus einem telefonischen Beratungsgespräch. [1] Die Ratsuchende, ein 26-jähriges Mannequin, unverheiratet, schwanger im dritten Monat, hat ihren Konflikt vorgetragen: Soll oder darf sie das Kind abtreiben? Betrachten Sie die Reaktion des Ratgebers unter kommunikationspsychologischen Gesichtspunkten:
Ratgeber: «Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Nicht dass ich prinzipiell was gegen Abtreibung hätte, es gibt Situationen, wo man sie also mehr als befürworten sollte, nicht? Aber zum Gesamtmenschenbild gehört das Kind mit hinzu, und Sie sagten mir vorhin, wenn ich Sie recht verstanden habe, Sie lieben zwar diesen Kindesvater, aber würden ihn nicht heiraten …»
Ratsuchende: «Nein, ich möchte eigentlich überhaupt nicht heiraten, ich fühle mich sehr wohl, so wie ich lebe.»
Ratgeber: «Ja, wissen Sie, Sie genießen zwar jetzt ’ne gewisse Freiheit, aber ’ne gewisse Freiheit verleitet auch sehr schnell dazu, dass man – ich möchte jetzt nicht sagen: völlig verantwortungslos wird – das stimmt nicht. Dass man, äh – man fühlt sich doch nur dann recht wohl in diesem Leben – ich weiß nicht, vielleicht ist das bei Ihnen noch nicht so ganz durchgekommen, wenn man für eine ganz bestimmte Sache auch mal verantwortlich zeichnet, dass man für etwas da ist – ich meine, Sie haben jetzt Ihren Beruf, nicht? Aber wie gesagt, der Beruf – ich weiß nicht recht, in welchem Alter man da so nicht mehr gefragt ist, aber ich könnte mir doch in etwa denken, so in vier, fünf Jahren wäre das so weit, dass Sie dann eben nicht mehr so schön lächeln können, wie Sie jetzt müssen …»
5.1
Nachrichten und Botschaften
Ich benütze beide Begriffe in der folgenden Weise: Die «Nachricht» ist das ganze vielseitige Paket mit seinen sprachlichen und nicht-sprachlichen Anteilen. Eine Nachricht enthält viele Botschaften gleichzeitig. Sie ist Gegenstand der Kommunikationsdiagnose, indem wir das Drumherum der Botschaften unter die Lupe nehmen. – Was aber ist die Analyseeinheit? Handelt es sich bei der Nachricht um einen einzigen Satz, oder können es zwei oder mehrere Sätze sein? Antwort: Dies ist nicht festgelegt, hängt ab von der praktischen Zielsetzung. Es kann sich um ein einziges Wort (z.B. «Raus!!») oder um einen einzigen «vielsagenden» Blick handeln, man kann aber auch eine ganze Rede oder einen Brief zugrunde legen.
Explizite und implizite Botschaften. Botschaften können in der Nachricht explizit oder implizit enthalten sein. Explizit heißt: ausdrücklich formuliert. Implizit heißt: ohne dass es direkt gesagt wird, steckt es doch drin oder kann zumindest «hineingelegt» werden.
Die Unterteilung explizit/implizit ist unabhängig von der quadratischen Unterteilung: Auf allen vier Seiten der Nachricht sind explizite wie implizite Botschaften möglich. So kann ich (explizit) sagen: «Ich bin aus Hamburg» – oder aber (implizit) durch meinen sprachlichen Dialekt den Hamburger verraten. Genauso kann ich (explizit) jemandem sagen, was ich von ihm halte, oder aber (implizit) in Tonfall und Formulierungen so «von oben herab» reden und auf diese Weise nicht minder eindrucksvoll zu erkennen geben, wie ich zu ihm stehe. Genauso kann ich einen Appell explizit («Erna, hol Bier!») oder implizit senden («Erna, das Bier ist alle»).
Man könnte geneigt sein anzunehmen, dass die expliziten Botschaften die eigentlichen Hauptbotschaften sind, während die impliziten Botschaften
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