Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung; Differentielle Psychologie der Kommunikation (German Edition)
Perspektive, dem Einzelnen bei der Entdeckung der für ihn wünschenswerten Richtungen der Persönlichkeitsentwicklung behilflich zu sein und Startimpulse für den ersten Schritt bereitzuhalten. Dies geschieht in Verbindung mit einer allgemein verbesserten Menschenkenntnis, die uns davor bewahrt, das Seltsame oder Befremdliche, das uns die Mitmenschen entgegenbringen, gleich verurteilend oder pathologisierend abzuwehren, oder aber auch in naiver Weise emotional darauf hereinzufallen; die es uns vielmehr gestattet, mit kundigem Verständnis die wahre Bedeutung zu entschlüsseln und mit Einfühlung und Abgrenzung zugleich darauf zu reagieren.
Somit geht es in diesem Buch um die Erweiterung der persönlichen Substanz und des Verständnisses vom Menschen, nicht um die Einübung eines «kontaktstarken Optimalverhaltens», das ja nur allzu oft dazu dient, mehr aus sich zu machen , bevor man wirklich «mehr» geworden ist.
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II
Werkzeuge kommunikationspsychologischen Denkens und Arbeitens
1.
Das «Quadrat der Nachricht»
Das erste der drei nun vorzustellenden gedanklichen Werkzeuge ist das «Quadrat der Nachricht», das ich 1977 und 1981 vorgeschlagen habe und das inzwischen weithin eine wohlwollende Aufnahme gefunden hat. Zur ausführlichen, systematischen Darstellung verweise ich auf «Miteinander reden 1» (1981), hier reicht eine kurze Erinnerung und ein Zuschnitt auf die vorliegende Zielsetzung.
In diesem Kommunikationsmodell steht das im Blickpunkt, was jemand von sich gibt bzw. das, was beim anderen ankommt . Dafür den richtigen Begriff zu wählen, erweist sich als gar nicht einfach, in (fragwürdiger) Anlehnung an die technische und kybernetische Nomenklatur habe ich von der Nachricht gesprochen und an ihr vier Seiten (Aspekte) unterschieden, die immer gleichzeitig mit im Spiele und seelisch wirksam sind:
1. der Sachinhalt , der Informationen über die mitzuteilenden Dinge und Vorgänge in der Welt enthält;
2. die Selbstkundgabe [2] , durch die der «Sender» etwas über sich selbst mitteilt – über seine Persönlichkeit und über seine aktuelle Befindlichkeit (sei es nun in bewusster Selbstdarstellung oder in mehr oder minder freiwilliger Selbstöffnung und Selbstpreisgabe );
3. der Beziehungshinweis , durch den der Sender zu erkennen gibt, wie er zum Empfänger steht, was er von ihm hält und wie er die Beziehung zwischen sich und ihm definiert;
4. der Appell , also der Versuch, in bestimmter Richtung Einfluss zu nehmen, die Aufforderung, in bestimmter Weise zu denken, zu fühlen oder zu handeln.
Mit diesem Modell verbindet sich die Erkenntnis, dass ein und dieselbe Nachricht – oder sagen wir nun besser: Äußerung – viele Botschaften gleichzeitig enthält, welche sich auf die vier Seiten verteilen, wobei explizit ausgesprochen oft nur eine Seite (häufig der Sachinhalt) ist und alle anderen Botschaften «zwischen den Zeilen» stehen, aber deswegen keineswegs weniger bedeutungsvoll und wirksam sind. Wenn eine Mutter ihrem pubertierenden Sohn gegenüber in etwas unwirschem Ton erwähnt: «Da sind wieder Flecken in deinem Bettlaken!» (Beispiel von Benien, 1986), dann erschließt sich das Gemeinte aus dem Gesagten (und nonverbal Gezeigten) , wenn wir uns außer für den Sachinhalt auch für die impliziten Botschaften der drei anderen Seiten öffnen – wobei wir uns hier auf unsicheres Gelände begeben; denn die dieser Äußerung zugrunde liegende «Innerung» [3] der Mutter ist prinzipiell nur ihr selbst bekannt (und manchmal nicht einmal ihr in vollem Umfang). An dieser Stelle liegen die Quellen der kognitiven und emotionalen Missverständnisse. Vielleicht «hört» der Sohn als mütterliche Selbstkundgabe «Ich bin der Apostel der sittlichen Sauberkeit und habe zu meiner Entrüstung wieder einmal die Spuren einer schlimmen Verfehlung entdecken müssen!» – wohingegen sie vielleicht ausdrücken wollte: «Ich habe ein Problem damit, und zwar …». Genauso auf der Beziehungsseite : Vielleicht wollte sie sagen «Du bist ja jetzt ein Mann und entsprechend auch sexuell in Fahrt!» – und der Sohn nimmt es mit seinem Beziehungsohr so auf: «Hab ich dich mal wieder ertappt, du haltloses Schwein!», und mit seinem Appell-Ohr : «Reiß dich zusammen und hör auf zu onanieren!» – wohingegen sie vielleicht gemeint hatte: «Kannst du nicht ein Papiertaschentuch nehmen?»
Hier ist jetzt nicht die Frage, ob der Sohn die Äußerung nicht vielleicht auch ganz richtig
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