Mithgar 11 - Die kalten Schatten
zeigte.
Das Gefährt der Elfen durchschnitt nun rasch die spritzenden Wogen, da der Nith schmaler wurde und schneller dem östlichen Dämmerlicht entgegenstrebte. Zwei Meilen fuhren sie, und nach noch einmal zwei drehte der Fluss nach Nordosten; durch das Laub der Greisenbäume beobachtete Tuck, wie sich der Himmel von Grau zu Rosa und Blau verfärbte. Und tief zwischen den dicken Stämmen erhaschte der Wurrling ab und zu einen Blick auf den leuchtend orangeroten Rand der Sonne am Horizont. Von ferne aber hörte Tuck ganz leise ein Grollen über dem Rauschen des Wassers. »Dort vorn ist der Schiefe Stein!«, rief Gildor und streckte den Arm aus. »Rudert zum Südufer!« Und Galen paddelte kräftig, Gildors Führung folgend; es war jedoch Brega im Heck, dessen mächtige Schultern das Gefährt rasch in eine sichere Gegenströmung bugsierten, unter den Schatten eines großen Felsens in der Form eines Monoliths, der schief im Wasser stand und sich an das hohe Steinufer lehnte. Auf Gildors Anweisung lenkte Brega das Boot in den Einschnitt zwischen dem riesigen Fels und dem Hochufer. Und im trüben Licht glitt ihr Fahrzeug an seinen Anlegeplatz neben einem weiteren schlanken Elfenboot, das dort angeleint lag. Nachdem die vier ausgestiegen waren und ihr Gefährt ebenfalls vertäut hatten, gürteten sie ihre Waffen, schulterten die Tornister und folgten einem steinigen Pfad nach oben ans Hochufer. Rund eine Meile weit marschierten sie nach Osten, am Fluss entlang, bis sie schließlich zum Hohen Abbruch kamen, einer tausend Fuß hohen, senkrechten Felswand, über die der Nith in den Vanil-Fällen wild und ungehindert in einen ausgedehnten, schäumenden Strudel hinabstürzte, den man den Kessel nannte.
Tuck stand ergriffen am Rand des senkrechten Absturzes. Weit konnte er schauen, weit über das Land unter ihm, und sein Blick folgte im Morgenlicht dieser massiven Flanke; rund sieben Meilen östlich gewahrte er einen weiteren Wasserfall, einen gewaltigen Katarakt, der die Wand des Hohen Abbruchs hinabstürzte, um in den Kessel zu donnern. Das war der mächtige Bellon, die Stelle, wo der große Fluss Argon über den Abbruch strömte. Hinter dem Kessel floss der Argon weiter nach Osten, fort von der Steilwand bis jenseits des Horizonts.
»Großer…!«, stieß Tuck hervor. »Als uns die Ghule vom Quadra-Pass nach Süden jagten, da hielt ich die Steilwand, an die wir damals kamen, schon für gewaltig, aber verglichen mit dieser hier wirkt sie wie eine bessere Treppenstufe. Wie hoch ist diese Klippe und wie weit erstreckt sie sich… wisst Ihr das?«
»Jawohl, Tuck«, antwortete Fürst Gildor. »An manchen Stellen misst sie zweihundert Faden vom oberen Rand bis unten, weiter östlich aber nimmt sie immer mehr ab, bis sie das Niveau des Flussufers erreicht. Hier vor Euch fällt die Wand eintausend Fuß senkrecht ab. Und was ihre Länge betrifft: Vom Grimmwall im Westen bis hierher, wo wir stehen, erstreckt sie sich über rund zweihundert Meilen, und nach Osten reicht sie noch einmal zweihundert Meilen und verläuft dort noch ein Stück entlang des Großwalds. Auf dieser Seite des Argon markiert der Hohe Abbruch die Grenze zwischen Darda Galion und Valon: Von hier oben nach Norden liegt das Land der Lian, von dort unten nach Süden das Land der Harlingar.«
»Und wie kommen wir nach unten?«, wollte Tuck wissen. »Über die lange Treppe… dort drüben«, antwortete Gildor und deutete.
Tuck sah einen schmalen, steilen Pfad mit vielen Serpentinen, der neben den silbern glänzenden Vanil-Fällen die Felswand hinabführte.
Diesen Weg stiegen die vier einzeln hintereinander ab: Gildor voran, Brega als Letzter und dazwischen Tuck vor Galen. Es war ein langer Abstieg, und sie legten häufig Ruhepausen ein, denn sie stellten fest, dass es fast ebenso schwierig war, einen Steilhang hinabzuklettern wie hinauf. Und die ganze Zeit presste sich Tuck an die Wand, denn der Absturz war jäh und erschreckend. Je weiter sie nach unten kamen, desto lauter wurde das Tosen des Nith, der in den Kessel stürzte, und sie mussten sich gegenseitig ins Ohr schreien, um sich zu verständigen. Zuletzt aber wurde jegliche Unterhaltung unmöglich, als sie eine halbe Meile südlich der Stelle, wo die Vanil-Fälle in den schäumenden Strudel donnerten, den Fuß der Wand erreichten. Über der wirbelnden Gischt spielten Regenbogen.
Dann waren sie am Gestade des Kessels, und Gildor führte sie zu einer Gruppe von Weiden und zeigte auf ein dort verstecktes
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