Mithgar 11 - Die kalten Schatten
verlor sich in dem ebenholzschwarzen Wasser. »Dieser dunkle Bergsee dürfte nicht hier sein!«, schrie Brega.
»Das ist der Schwarze Teich«, sagte Gildor, »und die Lian behaupten, dass etwas Böses in ihm haust. Was, weiß ich nicht, aber bleibt möglichst weit von seinen Ufern weg.«
»Ai! Hier haben wir es mit einem Rätsel zu tun!«, rief Galen aus. »Warum ist dieser See nicht zugefroren?«
Tuck erkannte, dass Galen in der Tat auf einen rätselhaften Umstand hingewiesen hatte: Abgesehen von einem schmalen Eisrand hier und dort, bewegte sich das dunkle Wasser des Schwarzen Teichs in trägen Wellen. Als würde es vor Bosheit pulsieren, dachte Tuck. »Vielleicht ist er nicht zugefroren, weil ihn die Große Wand schützt«, sagte Brega und spähte zu dem riesigen Steingewölbe hinauf.
»Vielleicht ist er aber auch deshalb nicht zugefroren, weil Modru es nicht will«, entgegnete Gildor. »So wie der Quadra-Pass von Schnee frei war, befindet sich auch dieser Schwarze Teich nicht im Griff der tiefen Winternacht. Vielleicht liefe dies Modrus Absichten zuwider, und er ist nun einmal der Beherrscher der Kälte.«
»Welche Absicht könnte er damit verfolgen, diesen See eisfrei zu halten?«, brummte Brega, aber niemand wusste eine Antwort. »Er ist so schwarz«, sagte Tuck. »Selbst wenn die Sonne schiene, würde er so aussehen«, sagte Gildor. »Manche meinen, das käme daher, weil er unter dem schwarzen Granit der Großen Wand liegt; andere behaupten, der Grund dafür sei, dass der Schwarze Teich böse ist.« Tuck blickte zur Großen Wand hinauf, die sich höhlenartig hunderte von Fuß über ihm wölbte. Dann suchte sein Blick das ferne Ufer ab. »Oho! Dort drüben vor der Wand sehe ich hohe weiße Säulen, die ein großes Dach tragen.«
»Das ist der Säulengang der Dämmertür«, sagte Brega, der mit den Augen Tucks ausgestrecktem Finger gefolgt war. »Vor ihm müsste ein marmorner Hof liegen, begrenzt von einem Graben, den der Dämmerbach speist. Doch das alles hat dieser Schwarze Teich überflutet. Aber sieh, dort steht noch die alte Zugbrücke offen an der Stelle, wo der Graben sein sollte. Und dort verläuft auch der Reilsteig entlang des Fußes der Großen Wand. Aber alles Übrige wurde in Schwärze ertränkt.« In Bregas Stimme klang Wut über die Entweihung des Ortes durch den Schwarzen Teich. »Vielleicht…«, setzte Galen an, aber seine Worte wurden durch das anhaltende, markerschütternde Heulen eines Vulgs unterbrochen, das durch das Ragad-Tal hallte. Gagat und Leichtfuß hoben ruckartig die müden Köpfe und stellten die Ohren auf. »Vulgs!«, schrie Brega. »Hier im Tal!«
Tucks Herz schlug heftig, er wirbelte herum und blickte das Tal hinab, sah jedoch nichts wegen dessen Biegungen. »Zum Wächterstand!«, rief er und rannte auf die Steintreppe zu, die rund eine Viertelmeile südlich begann.
Keuchend vor Anstrengung kletterte er die Stufen zur Spitze der Zinne hinauf, und von dort hatte er einen Überblick über das Tal unter ihm: Ghule mit Fackeln ritten langsam auf das obere Ende des Tals zu, sie suchten in den Spalten und dunklen Nischen nach möglichen Verstecken von Flüchtlingen, während sich Vulgs mit der Schnauze im Schnee Schritt für Schritt an der schwachen Duftspur entlangarbei teten, die von dem mitgeschleiften Buschwerk verwischt worden war. Rasch sauste Tuck wieder die Treppe hinab zu den anderen, die dort auf ihn warteten. »Ghule! Und Vulgs! Sie durchkämmen das Tal und forschen, wo wir uns verstecken. Sie sind über die ganze Breite des Tals verteilt.«
»Doch wir können nicht an ihnen vorbei durchbrechen«, sagte Galen zähneknirschend. »Das halten Gagat und Leichtfuß nicht mehr aus.«
»Falls wir es über den alten Graben schaffen, können wir uns auf dem Säulengang verstecken«, schlug Brega vor.
»Aber die Zugbrücke ist oben!«, schrie Tuck. »Wir können ja nicht durch die Luft schweben!«
»Gebt die Hoffnung nicht auf, bis wir nachgesehen haben«, erwiderte Gildor in scharfem Ton.
»Jawohl«, stimmte Galen zu. »Überquere nie eine Brücke, bevor sie vor dir steht; verbrenne keine Brücke, wenn du zurückwillst. «
»Dann los«, sagte Tuck verärgert, »wenngleich ich fürchte, wir werden alle Brücken hinter uns verbrannt haben, wenn wir an die eine vor uns kommen.«
Sie zogen die Pferde hinter sich her und liefen nach Norden, um das Ende des Sees herum, wo sie ein flaches Rinnsal durchquerten, dessen Boden von Schlamm bedeckt war. Nun wölbte sich der Fels
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