Mithgar 13 - Zwergenzorn
beim Gehen kein Geräusch. Auf Jahrmärkten oder bei anderen Festlichkeiten hüllen sie sich jedoch in fröhliche, grelle Farben – Scharlachrot, Orange, Gelb, Blau, Purpur –, sie musizieren gern, und sind allgemein ein recht ausgelassenes Völkchen.
Zu den fröhlichsten Zeiten gehören jene, mit denen der Übergang von einem Wurrlingsalter ins nächste gefeiert wird, nicht nur die »gewöhnlichen« Geburtstagsfeste, sondern insbesondere diejenigen, wo sich ein »Altersname« ändert: Kinder beiderlei Geschlechts bis zu zehn Jahren werden Junges genannt. Männliche Kinder zwischen zehn und zwanzig Jahren heißen Bürschchen, weibliche Maiden. Zwischen zwanzig und dreißig Jahren heißen männliche Wurrlinge Jungbokker, weibliche Jungmammen. Mit dreißig Jahren werden Wurrlinge mündig (oder volljährig) und heißen von nun an bis zu ihrem sechzigsten Lebensjahr Bokker oder Mamme, was außerdem die allgemeine Bezeichnung für einen männlichen beziehungsweise weiblichen Wurrling ist. Mit sechzig werden sie zu Altbokkern beziehungsweise Altmammen und jenseits der fünfundachtzig nennt man sie Greiser oder Grume. Bei jedem dieser besonderen Geburtstagsfeste schlagen Trommeln, klingen Zimbeln, scheppern Becken und läuten Glocken. Bunte Gewänder schmücken die Feiernden. Ein Mal im Jahr, am Langen Tag in der Jahrmarktszeit, erstrahlt ein Feuerwerk am Himmel für alle, die im zurückliegenden Jahr Geburtstag oder Jubiläum hatten – was natürlich auf alle zutrifft –, besonders aber für diejenigen, welche von einem Altersnamen zum nächsten gewechselt sind.
Sind Wurrlinge einmal über das Jugendalter hinaus, neigen sie zur Rundlichkeit, denn sie essen vier Mahlzeiten am Tag und an Festtagen fünf. Wie die Alten zu sagen pflegen: »Wurrlinge sind klein und kleine Wesen brauchen zu ihrem Fortbestand eine Menge Nahrung. Schaut euch die Vögel und Mäuse an, besonders die Spitzmäuse. Sie alle verbringen den größten Teil ihrer wachen Zeit damit, fleißig zu essen. Deshalb brauchen wir vom Kleinen Volk mindestens vier Mahlzeiten am Tag, nur um zu überleben!«
Häusliches Leben und Dorfleben der Wurrlinge sind von ländlichem Frieden geprägt. Oft verbringt das Kleine Volk den Tag in Gemeinschaft. Die Mammen tratschen beim Nähen oder Einmachen, Bokker und Mammen treffen sich zum Säen oder zur Ernte, zum Errichten einer Behausung oder zu Familienfeiern im Freien. Bei Letzteren handelt es sich stets um lautstarke Angelegenheiten, da Wurrlinge üblicherweise eine große Familie haben.
Bei »normalen« Mahlzeiten im häuslichen Rahmen scharen sich alle Mitglieder des Haushalts – seien sie Herr, Herrin, Nachkommen oder Bedienstete – zu einer großen Versammlung rund um den Tisch, um gemeinsam zu tafeln und die Ereignisse des Tages zu besprechen. Doch bei Gastmahlen kommen für gewöhnlich nur der Gehölzvorsteher, seine Familie und die Gäste an die Tafel des Vorstehers, um mit ihm zu speisen. Selten nehmen andere Mitglieder des Gehölzes teil und wenn, dann nur auf besondere Einladung des Familienoberhaupts. Vor allem wenn offizielle Dinge zu besprechen sind, entschuldigen sich die jüngeren Sprösslinge am Endes des Mahls höflich und lassen die Älteren allein mit den Besuchern zur Klärung ihrer »gewichtigen Angelegenheiten«.
Was den »Nabel« des Dorflebens betrifft, so gibt es in jedem Weiler mindestens ein Gasthaus, meist mit gutem Bier. Dort versammeln sich die Bokker und insbesondere die Greiser, einige täglich, andere einmal die Woche, manche noch seltener. Sie kauen Altbekanntes durch und lauschen Berichten über neue Geschehnisse, sie spekulieren, was der Hochkönig in Pellar treibt, und reden über die Lage der Dinge ganz allgemein.
Es gibt vier Stämme der nördlichen Wurrlinge: Siven, Othen, Quiren und Paren, die jeweils in Höhlen, Pfahlbauten im Moor, Baumhäusern oder Steinhäusern wohnen. (Vielleicht haben die hartnäckigen Legenden über intelligente Dachse, Otter, Eichhörnchen, Hasen und andere Tiere ihren Ursprung in den Siedlungsgewohnheiten des Kleinen Volks.) Wurrlinge leben oder lebten zu allen Zeiten in praktisch jedem Land der Welt, auch wenn manche Länder viele Wurrlinge beherbergt haben und andere wenige oder gar keine. Es scheint in der Geschichte des Kleinen Volks Wanderungen gegeben zu haben, allerdings zogen in jenen Zeiten der Wanderjahre auch viele andere Völker über das Antlitz der Welt.
In der Zeit der Entstehung sowohl des Buch des Rabens als auch des
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