Mithgar 13 - Zwergenzorn
Ode oder Buch, nur die Historie betrachtet Krieg als große Errungenschaft. Eigentlich ist er aber eine furchtbare letzte Zuflucht. Ihr, Perry, betrachtet stets Vergangenheit. Vergangene Königreiche, vergangener Ruhm, vergangene Heldentaten, vergangene Prüfungen, vergangene Siege. Doch die Zeit lässt die Erinnerung an das Entsetzen verblassen, und nur die großen Taten bleiben im Gedächtnis der Leute. Wir Châkka haben ein Sprichwort:
Die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft
Die Straße der Zeit windet sich durch alle drei.
Lebe heute, aber denk an morgen.
Gestern ist nur eine Erinnerung.«
Anvals schwarzer gegabelter Bart leuchtete schwarz im Feuerschein. »Ihr müsst die Vergangenheit ruhen lassen, Perry, und für heute und morgen leben.«
»Aber, Anval«, protestierte Perry, bestürzt über die Akkuratesse der Einsicht des Zwergs, »wir Wurrlinge haben auch ein Sprichwort: Die Samen von gestern sind die Bäume von morgen. Indem wir in die Geschichte schauen, können wir manchmal zukünftige Ereignisse vorhersagen. Unsere Queste wäre vorhersehbar gewesen. Vor langer Zeit wurden die Zwerge aus Drimmenheim vertrieben und wollen nun zurückkehren, aber beim Fall Grons wurde Gezücht nach Drimmenheim vertrieben, und daraus wird nun ein Krieg entstehen. Ihr seht also, Anval, die Samen von gestern sind tatsächlich die Bäume von morgen.«
»Nur, wenn sie heute gehegt werden, entstehen aus den Samen Bäume«, knirschte Anval. »Die gestrigen Taten sind nur Schatten; tot und verschwunden. Die Taten von morgen müssen erst noch kommen. Die Taten von heute sind das Wichtigste. Meidet nicht die Gegenwart und verspielt nicht die Zukunft, um in vergangenem Ruhm zu schwelgen. Eure Seele wird niedergedrückt und vielleicht werdet Ihr sogar getötet, wenn Ihr auf dem Weg des Historikers in die Wirklichkeit des Krieges zieht.«
»Aber, Anval«, sagte Perry leise, »ich bin Historiker.«
»O nein, jetzt seid Ihr ein Krieger.« Anval drehte sich um und starrte in die Nacht und erklärte mit leiser Stimme und ernsthafter Dringlichkeit: »Ihr müsst ein Krieger werden!« Dann ging der Zwerg zum Rande des Lagers, begann seine Wache und sagte nichts mehr.
Perry legte sich nieder, konnte aber nicht einschlafen. Anvals Sicht der Dinge bestürzte ihn und obschon er sie halb akzeptierte und halb ablehnte, dachte er bei sich: Wie kann Anval so etwas sagen? Er sagt mir, ich müsste von der Vergangenheit lassen, als würden er und Borin und überhaupt alle Zwerge so leben. Die bloße Erwähnung von Elgo und Schlomps Verhängnis hat Anval und Borin in rasende Wut versetzt, obwohl Elgo sich den Drachenhort vor fast zweitausendsechshundert Jahren angeeignet hat. Die Vergangenheit vergessen? Pah! Tun Zwerge das? Ich würde sagen, nein! Ich kann mich deutlich erinnern, wie Borin gesagt hat: ›Wer den Zorn der Zwerge sucht, wird ihn finden! Auf ewig!‹ Das ist wohl kaum Vergeben und Vergessen.
Ich glaube, dieses Volk ist sehr widersprüchlich: Auf der einen Seite sind sie argwöhnische, halsstarrige, stolze Krieger und grimmig in der Schlacht. Immer bereit, nein, erpicht, altes Unrecht wieder gutzumachen. Aber andererseits sind sie auch äußerst begabte Handwerker, ehrenwerte Kameraden und vertrauensvoll genug, um einem Fremden zu gestatten, sie in ein Unternehmen von tödlicher Gefahr zu führen. Sie scheinen aufrichtig besorgt um das Wohlergehen neuer Freunde zu sein. Sie lassen sich von der Schönheit der Sterne verzaubern, fürchten sich aber vor ihren feurigen Omen. Und um allem die Krone aufzusetzen, scheinen sie aufrichtig an Sprichwörter zu glauben, die im direkten Widerspruch zur dunkleren Seite ihrer eigenen offenkundigen Natur stehen … aber unterscheiden sie sich in dieser Hinsicht von den anderen Völkern?
Aber was Anval sagte, stimmt: Ich muss ein Krieger werden!
Während Perry Anvals Worte abwog und über das Wesen der Zwerge nachdachte, sah er den hell scheinenden Mond hinter einem dunklen Hügel im Westen versinken. Als die silberne Scheibe gänzlich verschwunden war, lag der Bokker in tiefem Schlummer.
9
Die Arden-Furt
Der frühe Morgen des dreizehnten Tages ihrer Reise sah die Gefährten wieder im Wagen auf der Querlandstraße, die sich immer noch durch die Ostausläufer des Ödwalds zog. Die Hügel waren mit weißem Reif bedeckt, und die morgendliche Luft war eiskalt und schneidend. Beim Frühstück hatten sich die Reisenden um das Feuer gekauert und sich an den Flammen und mit Tee
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