Mithgar 13 - Zwergenzorn
die Augen wirkten schräger. Er drehte beiden den Helm verkehrt herum und ließ sie dann wieder antreten. »Also«, sagte er mit tiefer Grabesstimme, »vor Euch steht ein Rukh.« Alle brachen in heiseres Gelächter aus und plötzlich sprang Zwirn mit der Heimtücke eines Rukhs vor und versetzte Perry einen Überhandschlag und der Kampf war in vollem Gange.
Zwirn war zwar stärker, doch Perry war flinker, und das Duell zwischen den beiden war ausgeglichen. Bei einem Schlagabtausch drängte Perry Zwirn so geschickt nach hinten, dass dieser rückwärts über einen Baumstamm fiel. Im Gegenzug manövrierte Zwirn Perry in das Bachbett. Perry watete von da ab im knöcheltiefen Wasser herum und versuchte sich ans Ufer zurückzukämpfen, das von Zwirn verteidigt wurde. Währenddessen johlten und lachten sie, oder kämpften lange Augenblicke in grimmigem Schweigen. Die Bokker trieben sich gegenseitig über die gesamte Ausdehnung der Lichtung und »töteten« einander dabei mindestens ein halbes Dutzend mal. Als Kian rief, »genug!«, brachen Zwirn und Perry gemeinsam lachend zusammen.
Sie wuschen sich ihre blauen Rukh-Gesichter im Bach ab und stiegen wieder auf den Karren, wobei sie fröhlich mit Kian und den Zwergen plauderten und über Stürze und Bauchlandungen lachten. Sogar Anval grinste über ihre Faxen, und auch Borin kicherte vor sich hin, während er den Wagen wieder auf die Querlandstraße fuhr. Kians Taktik hatte funktioniert: Die düstere Stimmung war durchbrochen.
Der Unterricht wurde in Hochstimmung fortgesetzt, als Kian seine Ausführungen mit Beispielen aus dem Zweikampf verdeutlichte. Hin und wieder brachen die Bokker bei der Erwähnung irgendeines Missgeschicks in lautes Gelächter aus, aber Kians Ausführungen blieben haften.
An jenem Abend hielten die Reisenden neben der Straße in einer bewaldeten Senke. Regen und Wind zogen über die Dellin-Höhen und das Wildertal herauf. Zwirn bemerkte: »Das wird ein echter Wolkenbruch. Du meine Güte, die Blätter an den Bäumen drehen sich schon den ganzen Tag rückwärts.« Alle schauten nach Süden und Westen und konnten einen dunklen Regenwall erkennen, der über das Land fegte und sich ihrem Lager näherte.
Inmitten der Bäume setzten Anval und Borin mit viel Geschick ihre Äxte ein, um in aller Hast einen einfachen Unterstand als Schutz vor dem Regen zu errichten. Die Wurrlinge beeilten sich, einen Vorrat an trockenem Feuerholz zu sammeln und ihn unterzustellen. Kian spannte die Pferde aus und führte sie unter die Bäume, wo er sie anband. Die Gefährten hatten das Lager kaum errichtet, als die ersten Tropfen fielen, aus denen schnell ein Sturzbach wurde, welcher sich aus dem schwarzen Himmel ergoss.
Es regnete die ganze Nacht. Obwohl sie Wache hielten, bestand deren Hauptaufgabe darin, das Feuer unter dem großen Unterstand in Gang zu halten, denn in dem Unwetter war ohnehin nichts zu hören oder zu sehen. Kian verbrachte seine Wache mit dem Schnitzen neuer Schwerter, denn die alten waren mittlerweile ob des ausgiebigen Gebrauchs ziemlich ramponiert. Die anderen hielten lediglich das Feuer in Gang und kauerten sich nah an die Flammen, um nicht allzu nass zu werden.
Am Ende der Nacht ließ der Regen nach, und das Unwetter zog gen Osten ab. Als der Morgen graute, war es gänzlich verschwunden, und Wasser tropfte nur noch von den Blättern auf den Boden. Die Sonne ging an einem blauen Himmel auf und versprach einen klaren Oktobertag.
Trotz des unruhigen Schlafes war die Laune im Wagen ebenso strahlend und fröhlich wie der Tag, und nach jeder Lektion wurde viel gesungen und gelacht. Am frühen Nachmittag ließen die Reisenden die niedrigen Bergausläufer hinter sich und sahen die Straße vor sich durch eine kleine Ebene zum Fluss Caire abfallen, jener Wasserstraße, die aus dem Norden kam und in der Mittagssonne funkelnd im Süden verschwand. Von der Klarheit des Tages erfüllt, fing Perry an zu singen:
»Die Straße windet sich vor uns
Ein Weg, den wir entwirren müssen.
Hinter jeder Ecke warten Wunder
Darauf, dass wir sie begrüßen.
Und wir, die fröhlichen Reisenden,
Die wir diesen Weg gingen,
Schauen in unserem Eifer voraus
Und drehen uns um und singen:
Die Straße windet sich hinter uns
Ein Weg, den wir entwirren konnten.
Doch bleiben Wunder hinter jeder Ecke,
Die zu finden sich noch lohnten.
Für jene, die dann nach uns kommen
Und seh’n, was wir gesehen,
Die Wunder werden sein so frisch,
Als hätt’s uns nie
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