Mitte der Welt
Husten allmorgendlich, der herausbricht aus einem geschundenen Leib.
Dass da unten im Keller sich einer hustend fast die Lunge aus dem Leib kotzt, fast jeden Morgen – tausendmal hab ich den Huster verwünscht, gewünscht, dass er doch endlich verstumme; obwohl ich nicht einmal weiß, wer er ist, der so hustet; nur dass es einer unten im Keller sein muss. Dort unten im Souterrain aber wohnt der kapıcı mit seiner Frau, und der ist nicht so alt, wie der sein muss, der so hustet; und außerdem geht der kapıcı frühmorgens aus dem Haus zur Arbeit, seiner anderen Arbeit; denn wenn er nur von der Hausmeisterei leben sollte, sagte er, als ich ihn einmal bedauerte, so spät abends noch das Treppenhaus wischen zu müssen, die Hausmeisterei allein, sagte er, würde noch nicht einmal fürs Leichentuch reichen.
Dass der Husten sogar zu hören ist, wenn ich unter der Dusche stehe! Der Wasserdruck ist zwar selten stark genug für strammes Rauschen, aber dass selbst dann dieser Husten bis zu mir dringt! Dagegen kann ich nicht anduschen. Immer wieder kann ich mir zwar sagen, dass mich dieser Husten nichts angeht, trotzdem, immer wieder, besonders unter der Dusche, springt er mich an. Über ihn kann ich nicht wie über tausenderlei anderes, was mir anfangs unüberhörbar schien, hinweghören; an ihn kann ich mich nicht gewöhnen, auch nicht ihn überlisten, indem ich meine Dusch-Zeiten ändere, weil kein Verlass ist auf ihn; weder kommt er immer zur selben Zeit noch jeden Tag, sondern unerwartet und plötzlich fällt er über mich her; und eben oft, wenn ich zufällig grad unter der Dusche stehe, nackt und wehrlos.
Die Unentrinnbarkeit, dachte ich heute Morgen, als es wieder losging, wieder als ich unter der Dusche stand, das unausweichliche Ausgeliefertsein an diesen Hof mit dem winzigen Ausschnitt von Leben, zufällig zusammengewürfelt; und plötzlich fiel mir, während ich das Shampoo aus dem Haar spülte und gegen den Husten anzusingen versuchte, Paul Nizons Geschichte ein von seinem Hof in Paris, der Taubenmann darin und die Frauengelle, eine Geschichte, die ich sehr mochte; und auch der Titel fiel mir wieder ein, Das Jahr der Liebe , und ich dachte, dass ich diesen Titel, wenn er nicht schon besetzt wäre, gern nähme – falls ich einmal über Istanbul schreiben sollte.
TROMMLER IN DER NACHT
Zu zweit stehen sie vor meiner Tür, Männer unbestimmbaren Alters, wortlos, mit Mütze auf dem Kopf, darunter ihre Gesichter sind dunkel, und ihre Blicke, sehe ich, weichen aus.
Was wünschen Sie?
Einer hält die Hand auf; grauschwarz ist sie und der dazugehörige Jackenärmel steif vor Alter.
Wofür?
Der mit der offenen Hand weist stumm auf eine Trommel, die an seinem Gurt hängt.
Ich verstehe: Sie also sind die Trommler, die nachts trommelnd durch die Straßen ziehen, um die Menschen in den Häusern aus ihrem Schlaf zu reißen, damit sie, Stunden vor Tagesanbruch, aufstehen und kochen und noch einmal essen und beten, bevor die Sonne aufgeht.
Seit fast zwei Wochen sind sie unterwegs nachts, trommelnd. Und fast schon hab ich mich an sie gewöhnt, an ihr Getrommel, und liege nicht mehr stundenlang wach, dem Schrittegetrappel über mir lauschend, mir vorstellend, wie die Frauen in solcher Herrgottsfrühe kochen, und wenn das Stühlegeschiebe losgeht, wie sie sich setzen und essen mit ihren Männern und Kindern, den größeren. Die kleinen dürfen liegen bleiben und weiterschlafen, sie betrifft das nächtliche Trommeln nicht.
Auch ich höre es kaum mehr. Sollen sie doch trommeln mitten in der Nacht, und essen und beten, wann immer sie wollen!
Aber ich verstehe, dass Trommeln in der Nacht eine Arbeit ist, die ihren Lohn fordert; umsonst kommen sie nicht aus den Vorstädten mitten in der Nacht.
Straßen und Quartiere, wer wo trommeln darf, teilen sie sich auf, auch dies nach tradiertem Recht von Sippen und Clans, hörte ich. Nicht anders, wenn es um die Plätze geht für Straßenverkauf und Bettelei.
Täglich einmal einem Bedürftigen etwas zu geben – jene im Islam verankerte Tradition –, ja, auch ich versuche möglichst mich daran zu halten. Und bitte, gib besonders den Kindern!, bat mein jüngster Sohn, der damals, als er mich zum ersten Mal in Istanbul besuchte, selbst noch ein Kind war.
Heute aber, seit ich weiß, dass die balkanische Bettel-Mafia auch in Istanbul ihr Geschäft mit dem erbärmlichen Gewissen treibt, wähle ich aus und gebe nur, wenn mein inzwischen auch hierfür geschärfter Blick es für, nein,
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