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Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Titel: Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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anderes Gebiet. Es gibt eigentlich ziemlich viele
Gebiete, findest Du nicht?
    Aber zurück zu unserem toten
Freund! Erinnerst Du Dich? Er wußte niemals, ob er seine Rechnung mit dem Wirt ohne den Himmel machen sollte, oder ohne den Wirt mit dem Himmel. Schließlich hat er keines von beiden getan. Friede seiner Asche,
wohin immer es sie geweht haben mag.
     
    Ich dagegen stehe auf einem
festen Standpunkt, zu dem, nachdem ich die Brücken verbrannt habe, ein
windschiefer Holzsteg führt, der zur Zeit der Schneeschmelze nicht ganz
ungefährlich ist. Wo andere ihren Horizont haben, habe ich Berge, an die man
sich übrigens gewöhnt, man muß ihnen ein wenig entgegenkommen, vor allem am
Anfang. Später kommen sie einem entgegen, vor allem bei Föhn - da hilft
denn auch nur die Augen schließen, das heißt, es hilft gegen die
entgegenkommenden Berge, nicht aber gegen Föhn. Dafür liegt das Gute nah, in
Reichweite, so daß ich manchmal, wenn die Lust mich ankommt, sogar frohlocke,
ohne daß ich befürchten muß, Nachbarn damit aufzuschrecken, deren ich freilich
nur einen habe, oder vielmehr hatte, oder besser: es war eine Nachbarin,
ein schlohweißes Mütterchen — Du weißt ja, wie weiß so ein rechter
Schloh sein kann, und kannst es mir bei Gelegenheit erklären, es eilt aber
nicht — , jedenfalls ein idealer Platz für das Gespräch. Ich meine natürlich
das echte Gespräch, auf anderes lasse ich mich gar nicht erst ein. Nur
eben meist kein Partner. Bleibt also das echte Selbstgespräch. Da ich
akzentfrei Mittelhochdeutsch spreche, so daß mich schon mancher für einen
Mittelhochdeutschen gehalten hat — ein Mißverständnis, das ich in den meisten
Fällen klären konnte, sofern ich es klären wollte, was durchaus nicht
immer der Fall war — , halte ich auch meine Selbstgespräche meist auf
Mittelhochdeutsch, ohne dabei befürchten zu müssen, daß jemand mitschneidet
oder gar zuhört, geschweige denn antwortet. Im Winter höre ich von weither den
Eisvogel tirilieren und das Schneehuhn balzen und umgekehrt. Es klingt, ehrlich
gesagt, abscheulich, aber es sind die einzigen Vögel, die noch klare Umlaute
artikulieren, die natürlich nichts mehr nützen, aber das ist nicht ihre Schuld,
sie tun ihr Bestes. Zur Brunftzeit stoßen sie sogar hin und wieder einen
Diphtong aus, aber das geschieht so selten und unregelmäßig, daß es
ornithologisch nicht ins Gewicht fällt. Aber wie ich es sehe, verschmerzt man
das leicht, vor allem natürlich, wenn man auf dem Gebiet der Ornithologie
ohnehin niemals recht heimisch geworden ist, was bei mir der Fall ist. Wie ist
es bei Dir?
     
     
    Wo andere ihren Horizont haben,
habe ich Berge, an die man sich übrigens gewöhnt, man muß ihnen ein wenig
entgegenkommen, vor allem am Anfang. Später kommen sie einem entgegen, vor
allem bei Föhn — da hilft denn auch nur Augenschließen, das heißt, es hilft
gegen die entgegenkommenden Berge, nicht aber gegen Föhn.

     
    Im Frühjahr höre ich das Gras
wachsen. Mitunter klingt es ein wenig schrill, dann aber doch wieder so
verlockend, daß ich hineinbeißen möchte, welcher Verlockung ich bisher
widerstanden habe. Ja, lieber Max, ich habe, weiß Gott, lange genug das Weite
gesucht, aber ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, was, wie Du weißt,
ohnehin nicht meine Art ist, darf ich von mir sagen: ich habe es gefunden.
     
    Es geht mir also gut. Ich wache
auf mit einem Lied auf den Lippen, was allerdings insofern ein wenig langweilig
wird, als es immer dasselbe Lied ist. Es handelt sich um >Luchs, du hast die
Gans gestohlen<, um ein Thema also, das mich, obgleich aktiver Tierfreund,
im bewußten Leben verhältnismäßig wenig beschäftigt. Ich habe mich schon
gefragt, ob es an meinen Lippen hegen könnte, die mitunter ein wenig trocken
sind, und habe mir pH 5-Eucerin gekauft, auf dessen Tube steht, daß es sich um
>im sauren Bereich gepufferte Salbe< handle. Ob das positiv oder negativ
zu werten ist, weiß ich nicht, es kommt wohl darauf an, wie sauer der
Bereich ist und bis wohin er sich ausdehnt. Eine Zeitlang war das Lied meiner
Lippen: >Sah ein Knab’ ein Röslein stehn<, aber spätestens bei der
Passage >Mußt’ es eben leiden<, die ich übrigens für schwach halte, hörte
ich auf, denn inzwischen hatte sich mein Sinnen und Trachten auf das Wachen
eingestellt, in dessen Programm der Gedanke über das Leid einer gebrochenen
Blume nicht enthalten ist. Und ihn jetzt aufzunehmen gestattet unsere Zeit
nicht. Das Trachten habe ich

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