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Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Titel: Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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Pathos allein,
aber vielleicht eben doch zu allein, so daß dieses Pathos verschwendet
wäre. Überdies macht diese Tätigkeit heiser. Vielen dieser Rufer ist die Kehle
ausgetrocknet, so daß sie sich eine andere Berufung wählen mußten.
    Gern wäre ich zum Beispiel
Durchmesser, ein Beruf von erheblicher Trag- und Spann-Weite, umsichtig und
aussichtig, dazu von wunderbarer Gedankenfreiheit, wenn nicht gar Wertfreiheit.
Aber zu meiner Jugendzeit — ich habe, wie Du weißt, Kasuistik und Weinbau
studiert, bin also sozusagen Vollkasuist und Vollweinbauer — standen diese
Gebiete noch in ihren Kinderschuhen, die leider nicht mehr das sind, was sie
einmal waren, darunter haben vor allem die Kinder zu leiden. Nun sind freilich
auch die nicht mehr, was sie einmal waren. Nimm zum Beispiel mich: ich bin
jetzt fünfundsechzig, und wenn Du dies liest, sofern Du es liest, bist Du
einundsiebzig oder gar zweiundsiebzig, und ich wäre beinah siebenundsechzig, ob
Du es liest oder nicht. Da ich weiß, daß Du langsam liest, sind wir beide auch
vielleicht noch älter. Ich bin nämlich auch alles andere als ein schneller
Leser und übrigens ein schneller Brüter schon ganz und gar nicht. Im Gegenteil,
ich brüte oft tagelang über einem Satz, und oftmals ist das, was auskriecht,
nicht der Rede wert. Aber der Redewert ist wieder ein anderes Gebiet, kein
erfreuliches, das heißt, es kommt wohl darauf an, was man daraus macht, worin
es sich eigentlich nicht von anderen Gebieten unterscheidet.
    Als einem Vollweinbauern hat
man mir öfters, und zwar meist von wohlmeinender Seite, nahegelegt, Edelzwicker
zu werden. Aber dazu eigne ich mich nicht recht. Ich finde nämlich, daß das
Edle die Vulgarität des Zwickaktes nicht aufwiegt, es verbrämt nur die
anrüchige Absicht. Ich sehe da einen Vertreter, der bei einem sogenannten
Bierchen sitzt und der Schankmaid unter die Röcke greift. Wo bleibt da das
Edle? Da ist natürlich ein rechter Gewürztraminer aus anderem Schrot und Korn,
wie er den Gefahren unwirtlicher Regionen und widerwärtiger Jahreszeiten trotzt
und bei Sturm, bei Wind und Wetter — vor allem dem letzteren — die Gewürze des
Lebens über dürre Hochebenen und verschneite Pässe traminiert, ohne irgend
etwas zu verschütten. Aber solchen Strapazen bin ich nicht mehr gewachsen.
Möglicherweise aber sehe ich die Sache zu romantisch, ich sehe ja so manches zu
romantisch. Andrerseits sehe ich vieles auch nicht romantisch genug.
    Als Kind wollte ich
Reichsverweser werden, wie weiland — schönes Wort: Weiland, es klingt irgendwie
nach Auferstehung oder ähnlichem —, also wie weiland Admiral Horthy, der,
nachdem er als Konteradmiral die ungarische Flotte erfolgreich auf dem
Neusiedlersee und dem Plattensee befehligt hatte, das ungarische Reich
verweste. Heute ist es kaum noch zu gebrauchen.
    Mir imponieren übrigens auch
diese Aussteiger. Ein stilles beschauliches Dasein als Schafhirte oder
Blumengärtner oder Obstzüchter an den Nagel zu hängen, um mit maximaler Energie
in die Schwerindustrie einzusteigen und als Topmanager der stahlverarbeitenden
Sparte einer Koronarthrombose entgegenzuleben, das erfordert den Einsatz des
ganzen Mannes, bedingungslos und unerbittlich. Lange habe ich ja die
Koronarthrombose nicht gerade für eine Blume, aber für ein spätbarockes fanfarengleiches
Blasinstrument gehalten, ja, ich meinte sogar ein Konzert für Koronarthrombose
und Orchester in fis-Moll gehört zu haben, bis ich erfuhr, daß es sich um eine
meist letale Durchblutungsstörung der Herzkranzgefäße handelt — also von Musik
keine Spur. — Aber der Schrecken über dieses Mißverständnis hat sich längst
gelegt, und nun liegt er hier bei mir und hat mich liebgewonnen, ich habe mich
daran gewöhnt, mit ihm zu leben.
    Gern wäre ich zum Beispiel auch
Ordinarius für Tautologie an der Universität Kandersteg geworden. Aber um
diesen Lehrstuhl reißen sich manche, die weitaus qualifizierter sind, als ich
es bin. Letzten Endes bin ich ja nur ein tautophiler Dilettant. Man soll sich
über die eigenen Fähigkeiten keiner Täuschung hingeben, obgleich es auch da
andere, durchaus ernstzunehmende, Meinungen gibt, von denen ich freilich keine
zitieren könnte.
    Oder auch Marktforscher mit
einem eigenen Institut und zwei Assistenten. Ich würde mit meiner Forschung bei
den Ursprüngen ansetzen, den Märkten zu assyrischer Zeit, über die viel zu
wenig bekannt ist. Dann zur Agora von Athen zu perikleischer Zeit und weiter
über die

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