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Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)

Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)

Titel: Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Schulmeister
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Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft »vermitteln« (sollen).

4. »Lassen Sie Ihr Geld arbeiten« als systemische Krisenursache
     
    In der Prosperitätsphase der Nachkriegszeit lenkten die Rahmenbedingungen – feste Wechselkurse, stabile Rohstoffpreise, unter der Wachstumsrate liegende Zinssätze, stagnierende Aktienkurse – das Gewinnstreben auf realwirtschaftliche Aktivitäten. Wer sein Geld arbeiten lassen wollte, konnte dies nur über den Umweg der Realwirtschaft tun. insbesondere durch die Finanzierung von Investitionen.
    Einfaches Beispiel: Jemand legt sein Geld auf einem Sparbuch an, die Bank verleiht es an einen Unternehmer, der den Kredit für den Erwerb eines Investitionsguts verwendet (Finanzkapital wird gewissermaßen in Realkapital verwandelt – dieser Prozess konnte auch durch eine Emission von Aktien ermöglicht/finanziert werden). Aus dem Mehrertrag durch die Investition bezahlt der Unternehmer den Zins, den sich Bank und Sparer teilen.
    Dominiert diese Arbeitsform von Geld, so entwickelt sich ein Positiv-Summenspiel: Indem sich das Profitstreben auf die Realkapitalbildung konzentriert, wächst die Gesamtproduktion stetig. Die typische Tauschsequenz ist Geld – Ware – Geld – Ware etc. In einem solchen Regime spielt der Finanzsektor eine wesentliche Rolle als Vermittler von Finanz- und Realkapital, allerdings ist seine Rolle im Verhältnis zur Realwirtschaft eine dienende. Ich nenne die Spielanordnung, in der der Vermehrungsdrang von Finanzkapital systematisch auf die Realakkumulation gelenkt wird, Realkapitalismus (Schulmeister, 2004).
    Abb. 3: Aktienkurse in Deutschland,
Großbritannien und den USA
    Versucht man, Geld selbstreferenziell zu vermehren, also durch Tausch unterschiedlicher Geldarten (Bankguthaben, Devisen, Aktien, Anleihen, Rohstoffderivate etc.), so ergibt sich die charakteristische Tauschsequenz: Geld – Geld – Geld – Geld … – Geld wird Mittel zum Selbstzweck. Dabei sind zwei Arbeitsformen zu unterscheiden:
Das schnelle Geld vermehrt sich durch das sehr kurzfristige Trading von Finanzinstrumenten aller Art wie Aktien, Anleihen oder Devisen, insbesondere aber von den entsprechenden Finanzderivaten (Futures, Optionen, Swaps, etc.).
Das langsame Geld vermehrt sich durch Holding von Financial Assets, deren Wert während eines Bull Market steigt. In analoger Weise kann man von fallenden Kursen (Bear Market) durch Halten von Short Positions auf den Derivatmärkten profitieren.
    Das schnelle Trading eines bestimmten Finanzinstruments (Geldart) stellt ein Nullsummenspiel dar, das heißt, es werden keine (realen) Werte geschaffen, sondern (monetäre) Werte umverteilt: Für einen einzelnen Spieler kann das Geld auf diese Weise viel mehr Gewinn bringen als bei realwirtschaftlicher Veranlagung, aber nur deshalb, weil andere verlieren.
    Abb. 4: Dollar-Euro-Kurs
    und technische Spekulationssysteme
    Wenn sich das Geld durch das »Ausreiten« eines Preistrends nach oben (Bull Market) vermehrt, so entstehen Bewertungsgewinne: Alle, die das entsprechende Asset besitzen, werden reicher und niemand wird ärmer. Allerdings hat diese wunderbare Geldvermehrung zwei Haken. Erstens: Die Bewertungsgewinne sind sehr ungleich verteilt: Wer früh einsteigt (tendenziell die Profis) gewinnt mehr als die Späteinsteiger (tendenziell die Amateure). Zweitens; Jeder über den realwirtschaftlich determinierten Fundamentalwert hinausschießende Bull Market zieht früher oder später einen Bear Market nach sich, durch den die überschießenden Bewertungsgewinne wieder eliminiert werden.
    Beide (selbstreferenzielle) Arbeitsweisen von Geld stellen daher im Wesentlichen kurz- bzw. längerfristige Nullsummenspiele dar. Das ökonomische Gesamtsystem gewinnt nicht nur nicht, sondern es wird verlieren (also eine schlechtere Performance aufweisen als unter realkapitalistischen Bedingungen), und zwar deshalb, weil Spekulation die wichtigsten Preise wie Wechselkurse, Rohstoffpreise und Aktienkurse destabilisiert. Die gesamte Spielanordnung, in der sich das Gewinnstreben auf selbstreferenzielle Geldvermehrung konzentriert, nenne ich Finanzkapitalismus.
    Im Folgenden möchte ich an konkreten Beispielen zeigen, wie Geld durch kurzfristige Spekulation arbeitet und wie dadurch Bull Markets produziert werden, deren gleichzeitiger Zusammenbruch das dynamische Epizentrum der großen Krise darstellte. 5
    Der größte Anteil aller Finanztransaktionen entfällt auf den Handel mit Derivaten, insbesondere mit Futures und

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