Mitten in der großen Krise. Ein »New Deal« für Europa (German Edition)
Optionen (Abb. 8, S. 56–57). Dies sind Wetten auf die künftige Entwicklung eines Preises/Kurses, sei es von Anleihen (Zinssätze), Aktien, Rohstoffen, Agrarprodukten oder Devisen (Wechselkurse). Dabei macht der »Wetteinsatz« nur einen Bruchteil des (Basis-)Werts aus.
Während die börsennotierten Derivate auch von Amateuren gehandelt werden, sind die bilateralen Finanzgeschäfte (Over-the-Counter-Transactions – OTC ) den professionellen Tradern vorbehalten. Dies betrifft insbesondere Spot- und Terminkontrakte sowie Swaps bezogen auf Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und Zinssätze.
All diesen Spot- und Derivattransaktionen sind zwei Merkmale gemeinsam: Erstens: Sie sind Wetten auf die künftige Entwicklung von Wechselkursen, Rohstoffpreisen, Aktienkursen und Zinssätzen. Zweitens: Sie stellen Umverteilungsspiele dar. Insofern ähnelt das Trading auf Finanzmärkten Casino-Spielen wie Roulette, die auch Nullsummenspiele sind. Allerdings bestimmt der Lauf der Kugel die wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft. Überdies folgt er keinem Zufallsprozess, sondern hängt vom Spielverhalten der Teilnehmer ab.
Professionelle Trader basieren ihre Entscheidungen auf der Interpretation neuer Informationen (News), auf dem »Ausreiten« von Trends (Trend Followers) oder auf dem Wechsel in der Trendrichtung (Contrarian Trading). Im ersten Fall geht es darum, in Sekunden abzuschätzen, wie die anderen Marktteilnehmer auf eine Nachricht reagieren werden, die auf den Bildschirmen erscheint. Ist sie überraschend oder war sie schon »eingepreist«?
Beginnt der Kurs auf Grund echter News zu steigen, so generieren zuerst die verschiedenen Trend following Systems auf der Basis von Hochfrequenzdaten (z. B. Minuten-Kurse) eine Sequenz von Kaufsignalen. Ihre Exekution treibt den Kurs weiter nach oben, es folgen die Kaufsignale der langsameren technischen Modelle auf Basis von Stunden- oder Tagesdaten etc.
Abbildungen 4 und 5 (S. 37 bzw. 42) zeigen am Beispiel des Dollar/Euro-Wechselkurses bzw. des Ölpreises, wie selbst ein simples technisches Modell Kurstrends ausnützen kann, und zwar auf ganz unterschiedlichen Zeitskalen (Tages- bzw. Fünf-Minuten-Kurse): Wenn der aktuelle Kurs den gleitenden Durchschnitt von unten (oben) durchbricht, wird gekauft (verkauft).
Gleichzeitig verstärkt die Verwendung technischer Spekulationssysteme das Trending von Asset Prices, da sie alle der gleichen Logik folgen: In der ersten Phase eines Aufwärts-(Abwärts-)trends produzieren die Modelle Kauf-(Verkaufs-)signale, die schnellen Modelle früher, die langsamen später. Die Exekution dieser Signale verstärkt rückwirkend die Preisbewegung (Schulmeister, 2006, 2009B).
Zwei Effekte stellen nicht nur die wichtigsten langfristig wirksamen Ursachen für Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung dar (Schulmeister, 2007A), sondern auch für den »Aufbau« des Potenzials der neuen Weltwirtschaftskrise:
Die Spekulation auf den Derivatmärkten sowie im Devisenhandel destabilisiert Wechselkurse, Rohstoffpreise (insbesondere den Ölpreis), Aktienkurse und Zinssätze.
Die Instabilität dieser wichtigen Preise und die hohen Profitchancen von Finanzspekulation dämpfen die realwirtschaftlichen Aktivitäten von Unternehmen.
Auf welche Weise destabilisiert der Handel mit Derivaten die wichtigsten Preise in der Weltwirtschaft? Unterschiedliche Spieler benützen unterschiedliche Spekulationssysteme, angewendet auf unterschiedlichen Zeitskalen (von Zehn-Sekunden-Kursen bis zu Tageskursen). Die Konzentration von Kaufsignalen der News based Trader am Beginn eines Aufwärtstrends gibt dem Preis einen ersten Schub, die nachfolgenden Kauforders der Trend Followers verstärken und verlängern den Trend. Hat er an Dynamik verloren, so lassen ihn die Verkaufssignale der Contrarians gemeinsam mit neuen News kippen (Schulmeister, 2006, 2008, 2010).
Das Phänomen solcher Kursschübe lässt sich auf jeder Zeitskala beobachten. Aus ihrem Zusammenwirken ergeben sich mehrjährige Trends (Schulmeister, 2008): Minutentrends in die gleiche Richtung, unterbrochen von kürzeren Gegenbewegungen, addieren sich zu einem Stundentrend, mehrere Stundentrends zu Tagestrends usf. Insgesamt ergibt sich daraus die für alle Asset Prices typische Abfolge von Kursschüben: Sie dauern für einige Zeit in eine Richtung länger als die Gegenbewegungen und erzeugen so stufenweise Auf- oder Abwärtsprozesse, also mehrjährige Bull Markets und Bear Markets (Abb. 1 bis 7). Deren Abfolge ergibt
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