Mitten in der Nacht
Ihre Stimme klang steif und fast ein wenig defensiv.
»Mein Mädchen ist ganz im Hier und Jetzt verwurzelt.«
»Dein Mädchen ist einfach vernünftig«, konterte sie. »Declan, es ist doch logisch, dass dich seltsame Gefühle überkommen, wenn du da draußen in dem großen alten Haus ganz allein bist. Und ich wette, du isst auch nicht vernünftig. Du solltest eine Weile hier bei Remy wohnen, bis du dich an alles gewöhnt hast.«
»Sie tut das nämlich nicht.« Remy deutete mit dem Kopf in Effies Richtung.
»Ich werde bei dir wohnen, wenn wir verheiratet sind, und nicht eher.«
»Ach nicht doch, chère. Der Mai ist noch so weit weg. Ich vermisse dich, wenn du nicht da bist.« Er nahm ihre Hand und küsste sie überschwänglich, während er redete.
»Ich mache dir einen Vorschlag, Effie, du kommst raus zu mir und bleibst ein paar Nächte. Ganz platonisch«, sagte Declan mit einem Grinsen, als Remy seine Augen zu Schlitzen verengte. »Wetten, dass du nach ein, zwei Nächten deine Einstellung Geistern gegenüber änderst?«
»Tut mir Leid. Ich bin eine Stadtpflanze. Was machst du eigentlich da draußen so allein, wenn du nicht arbeitest?«
»Lesen. Und wenn wir schon mal bei diesem Thema sind – ich muss mal zu dir in die Bibliothek kommen. Eventuell kannst du mir ja helfen, was über Manet Hall ausfindig zu machen. Im Garten habe ich natürlich auch einiges zu tun. Ich gehe spazieren. Und ich fahre hinüber und besuche Miss Odette.«
»Du warst bei Miss Odette?«, erkundigte sich Remy, als er die letzten Reste auf seinem Teller verputzte. »Die hat was, nicht wahr?«
»Ich mag sie wirklich. In Wahrheit hält mich das Haus aber so auf Trab, dass ich für gewöhnlich um zehn Uhr ins Bett falle. Ich habe zwar endlich einen Fernseher angeschlossen, aber ich denke nie daran, ihn anzuschalten. Heute Nachmittag habe ich mir zumindest einen Tisch und Stühle gekauft und noch ein paar andere Sachen.«
Es war immer ein Fehler, schalt er sich, wenn er einen Antiquitätenladen betrat.
»Wir werden nicht zulassen, dass du dich da draußen einsperrst und dich abrackerst«, bestimmte Effie. »Ich erwarte von dir, dass du wenigstens ein Mal in der Woche zu uns in die Stadt kommst. Und du, Remy, solltest an den Samstagen rausfahren und Declan zur Hand gehen. Du bist zu oft allein«, erklärte sie, als sie vom Tisch aufstand. »Das ist es nämlich. So, seid ihr bereit für den Obstkuchen?«
Womöglich hat sie ja Recht, überlegte Declan, als er nach einem Parkplatz suchte. Selbst wenn Effie nicht Recht hatte, bezog sie jedenfalls eine klare Position. Er würde versuchen, ein wenig mehr Abwechslung in sein Leben zu bringen. Ein oder zwei Mal die Woche könnte er in die Stadt fahren und dort eine richtige Mahlzeit zu sich nehmen. Vielleicht auch Remy und Effie einmal zum Essen einladen – ganz zwanglos.
Es wäre auch denkbar, einmal einen Abend lang etwas anderes zu lesen als Nachschlagewerke.
Und mehr, überlegte er. Er würde sich bald dazu versteigen, die geistige Blockade zu durchbrechen, die er um den Raum im zweiten Stock errichtet hatte.
Anderthalb Häuserblocks vom Et Trois entfernt, fand er endlich einen Parkplatz, doch als er es betrat und Lena an der Bar entdeckte, fand er, dass sich der Fußmarsch gelohnt hatte.
An diesem Abend ergatterte er nicht einmal einen Stuhl, doch es gelang ihm, sich zwischen den Gästen hindurchzuquetschen und einen Eckplatz an der Theke in Beschlag zu nehmen. Laut und lebhaft wie die Menge war auch die Musik.
Zusätzlich zur Besitzerin und dem Mann mit den Rastalocken bediente diesmal auch noch eine Blonde hinter der Theke. Und sie hatte alle Hände voll zu tun.
Lena warf ihm einen Blick zu, als sie gerade zwei gezapfte Biere und einen Gin Fizz servierte.
»Corona?«
»Gib mir lieber eine Cola.«
Sie sah genauso gut aus, wie er sie in Erinnerung hatte. An diesem Abend trug sie Blau – eine Bluse, die erst sehr weit unten geknöpft und bis zu den Ellbogen hochgekrempelt war. Die Lippen waren rot, aber die Haare hatte sie an den Seiten mit Silberkämmen nach hinten gesteckt. Er sah die Ohrringe glitzern.
Sie stellte ein hohes Glas mit Cola vor ihn. »Alles klar?«
»Ja, ich fühle mich ganz wohl hier.«
»Das meine ich nicht.« Dazu lachte sie ihr kurzes, kehliges Lachen. »Du sprichst wohl nicht New Orleans, cher? Wenn ich sage, alles klar, frage ich dich, wie es dir geht.«
»Oh. Danke. Und bei dir auch alles klar?«
»Schnell kapiert. Ja, mir geht es auch gut. Viel zu
Weitere Kostenlose Bücher