Mitten in der Nacht
tun. Lass es mich wissen, wenn du noch was anderes möchtest.«
Er musste sich damit bescheiden, sie zu beobachten. Sie arbeitete in ihrem Drittel der Theke, schenkte ein, tauschte das ein oder andere Wort aus, schlüpfte in die Küche und kam wieder heraus, ohne je den Eindruck zu machen, in Eile zu sein.
Ans Nachhausegehen dachte er nicht. Als ein Barstuhl frei wurde, kletterte er hinauf und machte es sich bequem.
Als würde man von einer großen, schönen Katze beobachtet, dachte Lena. Unbeirrt und geduldig und ein klein wenig gefährlich. Er trank seine Cola, ließ sich nachschenken und saß noch auf seinem Platz, als der Laden sich langsam leerte.
Sie kam wieder bei ihm vorbei. »Wartest du auf etwas, Schöner?«
»Ja.« Er ließ die Augen auf ihr ruhen. »Ich warte.«
Sie wischte mit ihrem Thekentuch einen Spritzer weg. »Ich habe gehört, du hast meine Großmama besucht.«
»Vor ein paar Tagen. Du siehst aus wie sie.«
»Das sagt man.« Lena steckte den Tuchzipfel in ihre Gesäßtasche. »Bist du zu ihr gegangen, um deinen Yankee-Charme zu versprühen, damit sie ein gutes Wort bei mir einlegt?«
»Das wäre zwar ein erhoffter schöner Nebeneffekt, aber nicht der Grund meines Besuchs. Ich bin zu ihr gegangen, weil sie eine Nachbarin ist. Ich hatte damit gerechnet, eine alte Nachbarin – eine ältere, allein lebende Frau – anzutreffen, die sich eventuell darüber freuen würde zu wissen, dass es da jemanden in ihrer Nähe gibt, der ihr gegebenenfalls zur Hand gehen könnte. Doch als ich ihr dann gegenüberstand, habe ich gemerkt, dass sie auf meine Hilfe ganz und gar nicht angewiesen ist.«
»Das ist nett.« Lena atmete geräuschvoll aus. »Das war nett. Doch eigentlich könnte sie hin und wieder ein paar kräftige Schultern gut gebrauchen. Dupris?«, rief sie, den Blick weiterhin auf Declan gerichtet. »Sei so lieb und schließ für mich ab. Ich gehe jetzt nach Hause.«
Sie holte eine kleine Tasche unter der Theke hervor und schlang sich deren langen Riemen über die Schulter.
»Darf ich dich nach Hause begleiten, Lena?«
»Ja, kannst du.«
Sie kam hinter der Theke hervor und lächelte, als er ihr die Tür aufhielt.
»Wie ich höre, arbeitest du sehr hart an deinem Haus.«
»Tag und Nacht«, bestätigte er. »Ich habe mit der Küche angefangen. Und gute Fortschritte gemacht. Hab dich gar nicht mehr am Teich gesehen.«
»Nein, in letzter Zeit nicht.« In Wahrheit war sie absichtlich fern geblieben. Sie war neugierig gewesen, ob er zurückkommen würde. Sie ging den Gehweg hinunter.
»Ich habe Rufus kennen gelernt. Er mag mich.«
»Meine Großmama mag dich auch.«
»Und was ist mit dir?«
»Ach, die beiden mögen mich.«
Als er lachte, bog sie in ein offen stehendes großes Eisentor ein. Sie betraten einen winzigen, gepflasterten Hof mit einem Eisentisch und zwei Stühlen.
»Lena.« Er ergriff ihre Hand.
»Hier wohne ich.« Sie deutete auf die Treppe, die auf jene Galerie im ersten Stock führte, die er am ersten Abend so bewundert hatte.
»Oh. Und ich war darauf eingestellt, dich auf einem langen Heimweg mit meinem Witz und meinem Charme zu verführen. Warum –«
»Nein.« Sie klopfte ihm mit dem Finger an die Brust. »Du kommst nicht mit hoch, nicht heute Abend. Aber ich denke, wir werden noch öfter Gelegenheit dazu haben, und dann sehen wir weiter.«
Sie stellte sich balancierend auf die Zehenspitzen, legte ihre Hand um seinen Nacken und dirigierte seinen Mund auf ihren hinab.
Es zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Als wäre er auf festem Grund gegangen, der sich plötzlich in Wasser verwandelte. Es war ein tiefer steiler Absturz, und tausend Eindrücke jagten ihm durch seine Sinne.
Das seidige Gleiten ihrer Lippen und ihrer Zunge, die warme Berührung ihrer Haut, der betäubende Duft ihres Parfüms.
Als er anfing, ihre Lippen zu teilen, löste sie sich von ihm.
»Das kannst du gut«, murmelte sie und tupfte eine Fingerspitze an seine Lippen. »Ich hab was gespürt. Gute Nacht, cher.«
»Warte doch noch.« Seine Verstörung war nicht so schlimm, dass er nicht mehr reagieren konnte. Er nahm ihre Hand. »Das war Übung«, erklärte er und drehte sie elegant herum, bis er sie in seinen Armen hielt.
Er spürte den vollkommenen Bogen ihrer Lippen an seinen und verschmolz mit ihnen, während er ihr mit seinen Händen über den Rücken und durchs Haar strich.
Hoppla!, war ihr einziger Gedanke, als sie spürte, wie sie den Halt verlor. Sein Mund war geduldig, aber sie
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