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Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Titel: Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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blickte Grube an. „Und? Haben sich die zehn Euro für die Daddelkönigin bezahlt gemacht?“
    „Das wird sich noch zeigen, aber ich muss jetzt erstmal was essen.“
    Linda sah auf ihre Finger. „Okay, dann kann ich mir wenigstens die Hände waschen. Außerdem müssen wir an einem Supermarkt vorbei. Ich kriege heute Abend Besuch und habe nichts im Haus.“
    Grube stöhnte auf. Mit Linda einkaufen gehen war die Höchststrafe. Er kannte keinen anderen Menschen, der so orientierungslos und unentschlossen zwischen den Regalen rumwuselte wie sie.
    Als sie das Präsidium in Kalkar betraten, dämmerte es bereits. Auf Lindas Schreibtisch lag die Liste mit den Patrolbesitzern. Daneben hatten die Kollegen von der Streife die Fahrzeughalter notiert, die bereits überprüft waren.
    Grube versuchte es mehrfach bei der Niag. Wo stellten die ihre Busse ab? Als er auch nach dem achten Anruf nur in einer Serviceleitung hängenblieb, rief er die Kollegen im Klever Präsidium an.
    „Auf dem alten Hendricksgelände haben die ein Depot. Zweihundert Meter Luftlinie von hier“, war die Antwort.
    Es war nach sieben Uhr, als sie sich auf den Weg machten. Vorsichtshalber forderte Grube einen Streifenwagen an, der sie begleiten sollte. Unter einem Eisenträger, auf dem „Bremsenprüfstand“ und „LKWWaage“ stand, begann das Areal. Die Hallen, die von der Niag genutzt wurden, lagen gleich zu Anfang rechts und links. Grube war vor Jahren mal hier gewesen. Er hatte vergessen, wie riesig das Gelände war und wie abgelegen, obwohl es direkt am Ring lag.
    Die hellgraue Wellblechhalle, im hinteren Teil versteckt, wirkte leer. Rechts davon türmte sich Eisenschrott, der von Brombeerbüschen überwuchert war. Auf der Rückseite entdeckten sie ein eingeschlagenes Fenster. Davor, auf dem Boden, eine braune Pappe. Scherben waren nicht zu sehen. In der Halle war es stockdunkel und gespenstisch still.
    Grube stieg durch das Fenster, ging zur Seitentür, öffnete den Riegel und ließ Linda und die anderen beiden Beamten herein. Dann fand er den Lichtschalter und unter der gut sechs Meter hohen Decke flammten Neonröhren auf.
    „Scheiße!“
    Sie sahen es alle gleichzeitig. Auf dem Zementboden lag in einem Meer von Scherben ein Mann. Über ihm, in drei Meter Höhe, gab es einen verglasten Raum, der über eine Eisentreppe zu erreichen war. Die gläserne Front war herausgebrochen.
    Grube beugte sich über den Mann, um dessen Kopf sich eine Blutlache gebildet hat. Er fühlte nach der Halsschlagader und wusste, dass er keinen Puls finden würde.
    „Wenn ich das richtig sehe, ist das Koller.“
    Grube ging fluchend auf die Seitentür zu. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. „Sagt mal in der Zentrale Bescheid. Wir brauchen Lembach hier. Und die sollen Böhm anrufen!“
    Linda zog ihr Handy aus der Jackentasche.
    Grube betrachtete den toten Koller und schüttelte den Kopf.
    Er hatte die Nase voll. Das war nicht sein Tag. Aber Kollers wohl auch nicht!

18
    Als Daniel achtzehn Monate alt ist, kann sie nicht mehr weghören. Der Arzt spricht nicht mehr von Entwicklungsverzögerung, sondern von Intelligenzminderung, antriebsgesteigertem Verhalten, eingeschränkter Bindungsfähigkeit.
    Sie hört zu, nickt und will nach Hause, will zu Daniel, den sie unter all diesen Fachbegriffen nicht finden kann.
    „Frau Koller“, sagt der Arzt, „Sie müssen endlich begreifen, dass Sie ein geistig behindertes Kind haben und Hilfe in Anspruch nehmen.“
    Daniel spricht nicht, gibt nur unartikulierte Laute von sich. Er scheint immer in Bewegung, schmeißt alles um, fällt hin und steht wieder auf. Selbst beim Essen in seinem Kinderstuhl wirft er seinen Oberkörper vor und zurück. Manchmal kommt sie an ihre Grenzen. Dann schimpft sie und stellt ihn in sein Gitterbett. Nur ein Stündchen, nur bis sie fertig gekocht oder geputzt hat. Wenn sie ihn heraushebt, schmiegt er sich mit einer Hilflosigkeit an sie, die sie kaum erträgt.
    Sie geht in eine Beratungsstelle und zum Jugendamt. Man vermittelt ihr einen Platz in einem integrativen Kindergarten. In den ersten Tagen genießt sie es. Fünf Stunden, in denen sie in Ruhe ihren Haushalt erledigt, einkauft und endlich auch wieder Zeit für Sven und Julia hat. Nach nur einer Woche wird der Verdacht laut. Daniel hat blaue Flecken, eine Beule am Kopf, eine Schürfwunde am Schienbein. Das Jugendamt kommt zu ihr nach Hause, stellt Fragen, die sie schuldig sprechen. Julia und Sven werden ärztlich untersucht. Wenn sie Daniel morgens in

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