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Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Titel: Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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sie herausfordernd an.
    Grube hob beschwichtigend die Hände.
    „Stoppt mal. Wir sollten nichts ausschließen. Wir haben noch nicht alle Karten auf der Hand. Wir sortieren keine aus, bevor wir nicht alle kennen.“
    Er ging zum Tisch, klaubte seine Unterlagen zusammen und benutzte seine Körpergröße als Autorität. „Ich werde mich noch mal mit Herrn Berger unterhalten.“
    Er zeigte auf Joop. „Du kümmerst dich um das Phantombild und du, Linda, bestellst Venturi hierher. Manchmal hilft dieser kleine Heimvorteil.“
    Linda blieb im Konferenzraum zurück. Eine Viertelstunde später klopfte sie an Joops Bürotür.
    „Hör zu“, sagte sie. Ihre Stimme hatte diesen Ton, mit dem man sich entschuldigte, ohne es auszusprechen. „Ich hab mir das Familienfoto noch mal angesehen. Als Grube und ich bei ihr waren, habe ich alle drei Kinder gesehen. Der kleine Junge auf dem Foto war nicht dabei.“

36
    Andreas ist tot. Sie hat lange im Wohnzimmer gesessen und darauf gewartet, endlich eine Art von Erleichterung zu spüren. Aber sie hat sich nicht eingestellt. Sven war gekommen und hatte sich neben sie gesetzt. Er hat es gewusst, das hat sie gespürt. Wahrscheinlich hat er gelauscht. Er zeigte keine Regung. Für einen Augenblick dachte sie: Andreas ist tot und kein Mensch wird um ihn weinen!
    Später hörte sie Sven in seinem Zimmer. Er schluchzte. Sie ging zu ihm, blieb aber in der Tür stehen. Sie tröstete ihn nicht. Sie war froh über sein hemmungsloses Weinen. Es war, als würde Svens Weinen die Dinge wieder zurechtrücken. Als wäre seine Trauer der Garant, dass alles gut werden könnte.
    Sie selber hatte Zorn empfunden! Sie war zornig auf Andreas, weil er ihr mit seinem Tod die Polizei ins Haus geschickt hatte. Weil er ihr sogar in seinem Totsein noch drohte.
    Am nächsten Morgen beim Frühstück hatte sie es den Kindern gesagt.
    Julia fragte: „Kommt er jetzt nie mehr wieder?“
    Sie schüttelte den Kopf. Julia saß nachdenklich still.
    Dann sagte sie: „Okay.“
    Es war dieses „Okay“, das beide benutzten, Sven und Julia. Selbst Lina plapperte es manchmal nach. Sie zogen die zweite Silbe lang, sagten es auf eine hinnehmende, resignierte Art.
    Sven schwieg. Er starrte auf seinen Teller und sah fast trotzig aus. Sie streichelte seine Wange. Ihr Großer! Bald wird er zwölf. Manchmal machte sie sich Sorgen um ihn. Seit einem halben Jahr trieb er sich abends oft herum. Mehrere Male war er erst nach zehn nach Hause gekommen. In den Sommerferien hatte es begonnen. Es war lange hell und die Tage verloren sich in diesen blauen Stunden, stiegen nur langsam in die Dunkelheit. Da hatte es ihr noch nicht viel ausgemacht, erst im Winter war es zum Streit gekommen. Er sagte, er wäre ja nicht draußen, sondern bei einem Schulfreund, Computerspiele spielen. Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte, aber die winterlich scharfe Kante zwischen Tag und Nacht hatte ihr Angst gemacht. Seit Daniel fort war, spürte sie eine schmerzhafte Anspannung in den Schultern, wenn sie nicht genau wusste, wo ihre Kinder sich aufhielten.
    Der junge Polizist war an ihrem Arbeitsplatz aufgetaucht. Er hatte Frau Schweder nicht gesagt, dass er von der Polizei war, aber wegen des Besuchs war sie trotzdem böse geworden. Sie hatte gesagt, wenn das noch einmal vorkäme, müsste sie das melden.
    Warum ließen sie sie nicht in Ruhe. Jetzt, wo doch alles gut werden konnte.
    Sie hört die Wohnungstür, hört wie Julia ins Wohnzimmer läuft, die Schultasche auf das Sofa wirft und darin herumkramt.
    Sie nimmt die Kartoffeln vom Gaskocher und setzt den Weißkohl auf.
    Das Mädchen kommt in die Küche gestürmt und hält ihr ein DIN-A4-Blatt entgegen.
    „Mama, wir machen eine Klassenfahrt. Wir fahren an die Nordsee. Wir fahren mit einem Schiff auf eine Insel!“
    Sie nimmt das Schreiben entgegen und setzt sich an den Küchentisch. Bevor sie den ersten Satz erfasst, sieht sie die Zahl. 180! Einhundertachtzig Euro Eigenbeteiligung.
    Ihr Magen schmerzt.
    Sie liest: „Bei Vorlage einer Bescheinigung des Sozialamtes kann der Förderverein einen Teil der Kosten übernehmen.“
    „Mama?“ Sie hört die ängstliche Frage in der Stimme ihrer Tochter.
    Sie steht auf und stellt die Flamme unter dem Weißkohl kleiner.
    „Mama, ich will mitfahren!“
    Natürlich will sie mitfahren.
    „Mama? Kann ich? Alle dürfen mit.“
    Sie hört den Vorwurf. Julia ist wie ihr Vater. Sie gibt ihr die Schuld. Immer gibt sie ihr die Schuld.
    Plötzlich bricht es aus ihr

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