Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
heraus.
„Verdammt noch mal, Julia. Wie stellst du dir das vor? Wir haben kein Geld für so was, und das weißt du genau. Nein! Du kannst nicht mitfahren. Und jetzt hör endlich auf damit.“
Sie nimmt das Papier und wirft es in den Mülleimer.
Julia rennt weinend ins Kinderzimmer.
Sie setzt sich an den Küchentisch, atmet schwer. Das hat sie nicht gewollt. Sie würde das nicht bezahlen können. Julia wusste das doch. Immer öfter reißt ihr bei Julia der Geduldsfaden. Warum kommt sie mit solchen Briefen nach Hause?
Sie beugt sich über den Mülleimer und holt das zerknüllte Papier wieder hervor. Im Kinderzimmer setzt sie sich zu Julia aufs Bett.
Sie zeigt ihr den Brief. Zeigt, dass sie ihn aus dem Mülleimer gefischt hat. Zeigt, dass es ihr leid tut.
„Ich weiß nicht, wo wir das Geld hernehmen sollen!“ Sie hebt hilflos die Schultern.
„Ich kann dir nichts versprechen, aber ich versuch es.“
Julia wischt sich die Tränen ab.
Sie nimmt den Zettel mit in die Küche, liest noch einmal. Einhundertachtzig Euro. Und weiter unten steht: Wir bitten Sie, ihren Kindern nicht mehr als zwanzig Euro Taschengeld mitzugeben!
Nicht MEHR als … steht da.
Nicht mehr und nicht weniger soll es heißen!
Zusammen zweihundert Euro.
Sie hört Sven im Flur, steht auf und deckt den Tisch.
Julia läuft ihm entgegen, erzählt die große Neuigkeit. Wieder sagt sie es so, als wäre es selbstverständlich, dass sie fahren könnte.
Sven bleibt still.
Als sie den Tisch abräumt, bleibt er noch einen Augenblick länger sitzen.
Dann sagt er: „Mach dir keine Sorgen Mama, wir schaffen das!“ Er sagt es mit dieser kindlichen Gewissheit, die sie erstaunt und rührt.
Später, als Sven und Julia Lina vom Kindergarten abholen, steckt sie das Schreiben zwischen die Tassen auf dem Küchenregal. Da steckt schon der andere Brief. Schon länger. Der Brief vom Schulamt. Da muss sie sich drum kümmern. Warum vergisst sie das immer?
Einschulungsuntersuchung Ihres Sohnes Daniel hatte in der Betreffzeile gestanden. Weiter hatte sie nicht gelesen. Da muss sie noch anrufen. Bescheid sagen, dass Daniel im Heim ist.
37
Der Mann war in der Dienststelle Kleve vorstellig geworden.
„Wegen dem Mord“, hatte er gesagt. „Ich weiß ja nicht, ob das wichtig ist.“
Michael Kaiser war ein kleiner, bulliger Mann in Cowboystiefeln. Er sprach in einer Geschwindigkeit, die von seinen Zuhörern äußerste Konzentration verlangte. Dabei wippte er auf den Füßen hin und her und verbreitete eine unruhige Wichtigkeit.
Der aufnehmende Beamte hatte ihn in ein kleines Büro geführt und ihm einen Stuhl angeboten. Er hatte gehofft, wenn Kaiser nicht mehr wippen könne, würde sich auch sein Erzählfluss verlangsamen. Das war nicht der Fall gewesen.
Mit großer Geduld war es dem Beamten gelungen, die Essenz von Kaisers Aussage nach fast einer Stunde in den Computer zu tippen.
Aussage Michael Kaiser:
Am Freitagvormittag gegen elf Uhr bekam ich einen Anruf von Bernd Beckmann. Er hat sich sehr detailliert nach dem Auto erkundigt, mit dem der Überfall auf Juwelier Berger begangen worden ist, und wollte wissen, ob ich eine Idee habe, wer den Wagen wohl entsprechend umgebaut hat. Ich habe ihm unter anderem den Namen Andreas Koller genannt.“
Er hatte dem Beamten komplizenhaft zugezwinkert und gesagt: „hat zwar nicht ausdrücklich in der Zeitung gestanden, dass der Tote Koller war, aber ein Andreas K., da hab ich mir eins und eins zusammengezählt.“
Der Beamte war froh gewesen, als Kaiser endlich gegangen war. Kopfschüttelnd hatte er das Protokoll betrachtet. Der Mann hatte eine Stunde geredet. Eine Stunde! Sicher, er hatte eine Menge über Geländewagen erfahren, aber für den Fall waren nur drei Sätze von Bedeutung gewesen!
Anschließend hatte er das Protokoll an das Kommissariat 21 in Kalkar gemailt.
Joop van Oss hatte sich sofort entschlossen.
Grube war bereits unterwegs nach Kleve zu Berger. Das Phantombild konnte auch ein Kollege zusammen mit Nilgün erstellen.
Er wollte sich diesen Bernd Beckmann mal ansehen.
Auf dem Platz glitzerten auf Hochglanz polierte Neuwagen in der Sonne. Die Werkstatttore waren weit geöffnet.
„Hey“, Joop sprach einen jungen Mann an, der auf dem Boden hockte und sich im Fußraum eines Audis zu schaffen machte.
„Ich suche Mynheer Beckmann.“
„Versuchen Sie es im Büro!“, antwortete eine erstaunlich junge Stimme, ohne aufzusehen.
Beckmann saß im Blaumann an seinem Schreibtisch und
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