Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
und Schulter auf und ab. Da war er wieder. Dieser Gedanke, den er nicht denken wollte. Er sagte: „Aber Frau Koller arbeitet bis mittags in einem Drogeriemarkt.“
Wieder das Klappern der Tastatur am anderen Ende der Leitung.
„Darüber ist hier nichts vermerkt. Das hätte Frau Koller uns mitteilen müssen.“
Joop trommelte mit den Fingern der linken Hand einen nervösen Takt auf den Schreibtisch. „Hören Sie, ich fahre jetzt los. Ich kann in zwanzig Minuten in Emmerich sein. Können wir uns dort treffen?“
Warum diese Unruhe? Warum glaubte er, es sei eilig? Vielleicht gab es eine ganz schlichte Erklärung.
Sie verabredeten sich im Hof vor der Kollerwohnung.
Als Joop auf den Parkplatz lief, kam Linda ihm entgegen. „Ich fahre noch mal nach Emmerich“, rief er ihr zu. „Ich bin über Handy zu erreichen.“
Die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten überschritt er in allen Bereichen. Auf der Höhe von Schloss Moyland zeigte der Tacho 100 km/h. Er nahm den Fuß vom Gaspedal. Die Ampel hinter Qualburg sprang auf Rot. Er schlug ungeduldig auf das Lenkrad.
Sein kranker Kollege Achim Steeg würde ihn jetzt zusammenfalten. „Hysterischer Holländer“, würde er ihn nennen. In Emmerich fuhr er am Rathaus vorbei direkt in die Steinstraße.
Vor dem Torbogen zum Hinterhof stand eine hochgewachsene Frau mit grauem Bürstenhaarschnitt. Sie trug eine khakifarbene Leinenhose mit passender kurzer Jacke.
Joop reichte ihr die Hand.
„Frau Lohmeier? Joop van Oss.“
„Gisela Lohmeier“, stellte sie sich vor.
Ihr Blick war sorgenvoll.
„Ich habe schon bei den Kollers geschellt, es scheint niemand da zu sein.“
Joop nickte zur anderen Straßenseite. „Sie arbeitet dort drüben.“ Gemeinsam betraten sie den Drogeriemarkt. Die Frau an der Kasse erkannte ihn sofort und machte aus ihrem Unmut keinen Hehl. „Hören Sie, so geht das nicht.“
Gisela Lohmeier kramte in ihrer Tasche. Joop legte seine Hand auf ihren Arm und zeigte seinen Dienstausweis.
„Kriminalpolizei“, sagte er freundlich. „Vielleicht wissen Sie es nicht, aber der Tote, der am Wochenende in Kleve gefunden wurde, ist Herr Koller. Wir haben noch ein paar Fragen an seine Frau.“
Die Marktleiterin schlug augenblicklich einen unterwürfigen Ton an. „Oh, das habe ich nicht gewusst. Selbstverständlich können Sie mit Frau Koller reden. Die arme Frau. Wenn Sie mir gestern schon gesagt hätten, dass Sie von der Polizei sind …“
Sie redete noch weiter, als Joop und Gisela Lohmeier schon an ihr vorbei auf dem Weg zur Lagertür waren. Frau Koller etikettierte an einem langen Tisch kleine Tüten mit Hustenbonbons. Als die schwere Tür ins Schloss fiel, drehte sie sich erschrocken um. Die Lohmeier ging mit großen Schritten auf sie zu. „Frau Koller?“ Sie hielt ihr die Hand entgegen und stellte sich vor. Ihr Ton war freundlich, aber bestimmt. „Frau Koller, wo sind Ihre Kinder?“
Martina Koller legte das Etikettiergerät auf den Tisch ohne hinzusehen.
„In der Schule und im Kindergarten.“ Sie sprach leise, flüsterte den Satz auf den grauen Fliesenboden.
Gisela Lohmeier lehnte sich an den Arbeitstisch. Der Stapel mit den bereits ausgezeichneten Bonbons geriet ins Rutschen. „Frau Koller, Daniel ist in keinem Kindergarten angemeldet.“
Einige der Tüten fielen zu Boden. Martina Koller starrte immer noch den Fliesenboden an. Die Bonbons lagen vor ihren Füßen. Sie schien sie nicht zu sehen.
„Im Heim“, die Worte waren kaum zu hören. „Ich habe ihn ins Heim gegeben.“
Joop atmete auf. Gott sei Dank!
Dann hörte er Gisela Lohmeier sagen: „Frau Koller, das kann nicht sein. Das müssten wir wissen, denn dann hätte die Kostenfrage mit uns geklärt werden müssen.“
Martina Koller schien die Fliesen mit ihrem Blick zu durchstoßen. Völlig reglos stand sie da.
Gisela Lohmeier hatte jetzt rote Flecken im Gesicht. Eine Hand hatte sie vor ihren Mund gelegt. Sie dachte angestrengt nach.
Joop entdeckte Sorge in ihrem Blick. Seine Sorge! Die wollte er nicht sehen. Er wollte, dass sie eine Erklärung fand. Eine ganz banale Erklärung.
Sie ließ die Hand sinken. Man konnte hören, wie viel Kraft es sie kostete, einen ruhigen Ton anzuschlagen.
„Frau Koller, ich möchte, dass wir in Ihre Wohnung gehen. Ich will Daniel sehen. Kommen Sie bitte.“
Martina Koller trottete neben ihr her durch den Drogeriemarkt und hinaus auf die Straße. Ihre Bewegungen waren eigentümlich unkoordiniert, wie eine Marionette in den Händen eines
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