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Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt

Titel: Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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Feierabend machten.
    Grube reckte sich.
    „Ich schlage vor, die Herren übernachten hier und wir gehen nach Hause. Morgen Früh nehmen wir sie uns noch einmal vor. Im Grunde können wir nur darauf bauen, dass einer von beiden umkippt. Wenn das nicht passiert, müssen wir sie beide laufen lassen. Mit dem, was wir bisher haben, schickt der Staatsanwalt uns in die Wüste!“

46
    Erst nach elf hat sie die Kinder zu Bett gebracht. Lina war auf dem Sofa eingeschlafen, während sie mit Sven und Julia Uno gespielt hatte. „Ein Spiel noch“, hatten sie immer wieder gefordert und sie war froh gewesen. Froh über jede Minute der Ablenkung.
    Sie geht zum Küchentisch, sammelt im schwachen Kerzenlicht die Spielkarten ein und schiebt sie zurück in die Pappschachtel. Diese Stille. Diese dunkle Stille. Davor hat sie sich gefürchtet. Wieder fällt ihr Blick zum Fenster hinaus in den Hof. Gegenüber, bei den Aslans brennt noch Licht. Seit Andreas den Weber angegriffen hatte, sprachen die Nachbarn nicht mehr mit ihr. Aber die Aslans sind freundlich zu den Kindern. Die anderen behandeln selbst Sven und Julia, als hätten die sie damals aus dem Hof vertrieben.
    Ihr Blick krallt sich an dem erleuchteten Fenster fest. Sie spürt, wie ihr Herzschlag sich beschleunigt. Festhalten. Das erleuchtete Fenster festhalten. Wenn ihre Augen abstürzen, ihr Blick in den Hof fällt, steigt die Frau aus den Schatten. Dann kommt sie aus dem Kellereingang und stellt den Bollerwagen vor die Haustür.
    Abrupt dreht sie sich um und setzt sich an den Küchentisch. In ihrem Kopf pocht es. Ein hohler Schmerz.
    Diese Müdigkeit. Sie legt die verschränkten Arme auf den Tisch und bettet ihren Kopf darauf. Nicht schlafen. Wenn sie einschläft, kommen die Träume. Nicht schlafen. Nur kurz ausruhen.
    Diese Frau bewegt sich wie unter einem Wasserspiegel mit zähen, langsamen Bewegungen, die so leicht aussehen. Fast tanzend. Diese Bewegungen, die so schwer sind. Bleischwer.
    Sie trägt einen Säugling auf dem Arm, legt sich auf ein Bett, stillt das Kind. Immer wieder schläft sie ein. Manchmal steht sie auf und geht zu Daniel ins Zimmer. Sie macht ihn sauber, gibt ihm ein paar Löffel Joghurt. Zu selten. Zu wenig. Sie weiß das.
    Das Licht im Zimmer verändert sich, schimmert grünlichblau. Auch Daniel sieht ganz blau aus. Die Frau deckt ihn zu, wärmt ihn. Sie geht wieder hinüber ins Schlafzimmer, legt sich hin. Später ist sie wieder bei Daniel, nimmt ihn aus dem Bett. Schwebend leicht macht er sich. Leicht und steif. Sie redet ihm zu, sagt, dass ihm bald wieder warm wird. Sie legt ihn zurück, holt das Winterbett aus dem Schrank, deckt ihn zu, schiebt die Enden der Decke unter seinen federleichten Körper.
    Martina Koller fährt hoch. Sie ringt nach Luft. Diese Träume, diese schrecklichen Träume. Sie zittert. Am Spülbecken dreht sie den Wasserhahn auf und hält die Handgelenke darunter. Dann wäscht sie sich das Gesicht. Es muss doch aufhören. Es muss doch irgendwann aufhören. Wie soll sie ihre Kinder versorgen, wenn sie nicht mehr schlafen kann.
    Sie blickt zur Uhr. Kurz vor zwei. Ganz automatisch wandern ihre Augen zum Fenster. Auch das Fenster der Aslans ist jetzt dunkel. Sie schlägt die Hände vors Gesicht. Nicht hinsehen. Nicht der Hof!
    Sie läuft in den Flur, öffnet vorsichtig die Tür zu Svens Zimmer. Da liegt er doch. Sie sieht seinen blonden Haarschopf, hört seine gleichmäßigen Atemzüge. Alles gut. Es ist doch alles gut!
    Sie zieht die Ärmelenden ihres Bademantels in die Handflächen, hält sie fest und legt die Arme um ihren dürren, zitternden Körper. Minutenlang steht sie da. Seine Atemgeräusche beruhigen. Das Zittern lässt nach.
    Wie dumm sie ist. Alles gerät durcheinander, weil sie zu wenig schläft. Aber das würde nicht mehr lange dauern. Das ist nur, weil Andreas jetzt tot ist, weil sie noch nicht weiß, wie alles weitergehen wird.
    Behutsam zieht sie die Tür wieder zu, geht zurück in die Küche und setzt Wasser auf. Kaffee! Der wird ihr gut tun. Sie hat noch Bügelwäsche. Sie kann nach dem Kaffee ganz viele Kerzen anmachen und bügeln. Das würde schon gehen. Und anschließend schon mal den Frühstückstisch herrichten. Ja! Sie musste sich einfach nur beschäftigen.
    Mit der Kaffeetasse steht sie an der Spüle, als ihr Blick ganz von selbst wieder zum Fenster hinauswandert. Sie rührt sich nicht von der Stelle, ist sicher, solange sie nicht zum Fenster geht und hinuntersieht. Wie blind starrt sie auf die

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