Mitten in der Stadt - Borrmann, M: Mitten in der Stadt
Sommerferien manchmal mit Tobias in Kleve im Freibad gewesen. Papa war da auch. Zweimal hat er uns mitgenommen, weil er auch nach Emmerich wollte. Da sind wir immer erst zu der Halle gefahren, weil Papa sich noch umziehen musste.“
„Wann warst du das letzte Mal dort?“
„Am Samstag“, schluchzte Sven auf.
Grube legte Sven eine Hand auf die Schulter. „Was ist passiert?“
Immer wieder von Schluchzen und stoßweisem Einatmen unterbrochen erzählte Sven, was sich am frühen Samstagabend zugetragen hat.
Am Mittwochabend hatte er gelauscht. Sein Vater hatte behauptet, bis zum Wochenende eine Menge Geld zu verdienen. Dann wollte er abhauen. Sven kam mit seinem Vater, wenn der nüchtern war, gut zurecht. Er dachte, er könne ihn vielleicht um etwas von dem Geld bitten. Wenigstens für die Stromrechnung. Wort für Wort legte er sich zurecht, was er sagen wollte. Er konnte sich keine Fußballspiele im Fernsehen ansehen, und dass es abends so kalt war, wollte er sagen. Er wusste, dass er seine Mutter auf keinen Fall erwähnen durfte.
Durch den Seiteneingang war er in die Halle gegangen und die Treppe zu dem Büroraum hinaufgestiegen. Sein Vater saß auf dem Sofa, und Sven roch schon an den Ausdünstungen im Raum, dass er betrunken war. Außerdem blutete er an der Lippe und aus der Nase.
Sven wusste sofort, dass er den falschen Zeitpunkt erwischt hatte. Sein Vater schnauzte ihn an: „Was willst du hier? Was glotzt du so blöd?“
Er war zu verdattert gewesen und sagte prompt, warum er gekommen war.
„Dich hat doch deine Mutter geschickt“, hatte sein Vater gebrüllt. Dann war er aufgesprungen, hatte Sven am Kragen gepackt und gegen die Fensterfront gestoßen.
Sven hatte das Knacken des Glases gehört und war dann auf den Fußboden vor die untere Holzverkleidung gefallen. Die Scheibe über ihm hatte Risse.
Der Vater war auf ihn zugekommen, holte mit dem Bein aus, um nach ihm zu treten. Instinktiv griff Sven nach dem Fuß. Andreas Koller verlor das Gleichgewicht und versuchte, sich an der Scheibe abzufangen. Aber die hatte nachgegeben und er war hinuntergestürzt.
Sven weinte jetzt bitterlich.
„Das habe ich doch nicht gewollt!“
Grube beugte sich vor und zog ihn an sich.
„Sven, das war auch nicht deine Schuld. Es war ein Unfall, hörst du!“
Es dauerte mehrere Minuten, in denen Grube den Jungen in den Armen hielt und beruhigend auf ihn einredete, bis Sven sich wieder gefasst hatte.
Linda fragte ihn fast flüsternd: „Wo hast du den Schmuck gefunden?“
Sven atmete stockend, aber tief durch. Das Geräusch, das entstand, erinnerte an einen Ertrinkenden.
„Als ich aufgestanden bin, habe ich zwei Sporttaschen neben dem Schreibtisch gesehen. Eine war auf, und die war voll davon.“ Wieder liefen ihm Tränen übers Gesicht. „Ich hab so viel ich konnte in meine Jackentaschen gesteckt.“
Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
„Als ich unten war, ist dieser Mann reingekommen, und ich habe mich hinter Papas Auto versteckt.“
Linda und Grube warfen sich einen triumphierenden Blick zu.
„Was hat der Mann gemacht?“, fragte Linda weiter, ohne allzu interessiert zu klingen.
„Als er Papa da hat liegen sehen, hat er geflucht. „Ach du Scheiße“, hat er gesagt. Dann ist er die Treppe raufgelaufen und mit den Taschen sofort wieder weggegangen.“
Linda konnte nicht mehr an sich halten.
„Sven, würdest du den Mann wiedererkennen?“
Sven zuckte mit den Achseln.
„Gaube schon.“
Linda zückte das Handy und wählte. Ohne Gruß fragte sie den Kollegen am anderen Ende: „Sind Schrewe und Berger noch da?“
Sie hörte einen Augenblick zu.
„Ich weiß, dass wir sie nicht länger festhalten können, aber jetzt haben sich neue Hinweise ergeben. Wir haben einen Zeugen.“
Wieder hörte sie zu, rollte dabei genervt mit den Augen.
„Ja, verdammt! Ich weiß, dass die Anwälte da sind. Aber wir brauchen beide für eine Gegenüberstellung. Bereitet das vor, wir sind gleich da.“
Eine Stunde später identifizierte Sven Koller Berger als den Mann, der am Samstagabend in die Halle gekommen war.
Epilog
Wenige Tage nach den Ereignissen bat Linda Joop van Oss um ein Gespräch. Sie erzählte von ihrer Arbeit als Streifenpolizistin. Damals waren sie etliche Male wegen Ruhestörung bei einer Familie gewesen. Eines Abends hatte sie zusammen mit dem Jugendamt die übel zugerichteten Kinder herausgeholt und vorläufig untergebracht. Wenige Tage später waren die Kinder nach Widerspruch der
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