Mitternacht
Apfelschimmel, prallte manchmal vom Rücken des Pferdes ab und hüpfte gefährlich in die Höhe, hielt sich aber dennoch fest, indem sie die Muskeln im Einklang mit denen des Pferds spannte und entspannte. Chrissie war nach jedem ausgreifenden Schritt überzeugter, daß sie es schaffen würden. Das Pferd hatte Charakter und Ausdauer. Als sie zwei Drittel der Wiese überquert hatten und der Wald vor ihnen aufragte, beschloß Chrissie, daß sie sich wieder nach Osten wenden würde, wenn sie die Bäume erreicht hätten, nicht direkt zur Landstraße, sondern ungefähr in die Richtung, und dannDa stürzte Godiva.
Ein Fuß geriet in eine Vertiefung - den Bau eines Erdhörn chens, den Eingang zu einer Kaninchenhöhle, möglicherweise ein natürlicher Abwassergraben -, sie stolperte und verlor das Gleichgewicht. Sie versuchte vergebens, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, wieherte entsetzt und stürzte. Chrissie hatte Angst, daß das Pferd auf sie fallen und sie zerquetschen oder ihr ein Bein brechen würde. Aber sie hatte keine Steigbügel, in denen sich die Füße verfangen konnten, und keinen Sattelknauf, an dem Kleidungsstücke hängenbleiben konnten, und da sie die Mähne des Pferdes instinktiv losließ, wurde sie sofort über den Kopf des Pferdes hinweg hoch in die Luft geschleudert. Der Boden war zwar weich und durch das hohe Gras zusätzlich gepolstert, dennoch prallte sie so stark auf, daß ihr die Luft aus den Lungen getrieben wurde und die Zähne so heftig aufeinanderschlugen, daß sie sich selbst die Zunge abgebissen hätte, wäre sie zwischen ihnen gewesen. Aber sie war drei Meter von dem Pferd entfernt und wenigstens in dieser Hinsicht in Sicherheit.
Godiva erhob sich als erste schon einen Augenblick nach dem Sturz. Sie tänzelte mit ängstlich aufgerissenen Augen an Chrissie vorbei und hielt dabei das rechte Vorderbein hoch, das offenbar nur verstaucht war; wäre es gebrochen gewesen, hätte das Pferd nicht mehr aufstehen können. Chrissie rief das Pferd, weil sie Angst hatte, es würde weglaufen. Aber sie atmete keuchend, und so kam ihr der Name nur flüsternd über die Lippen: »Godiva!«
Das Pferd lief weiter nach Westen, zum Meer und den Ställen. Als Chrissie sich auf Hände und Knie aufgerichtet hatte, war ihr klargeworden, daß ihr ein lahmendes Pferd nicht von Nutzen war, daher unternahm sie keinen Versuch mehr, das Tier zurückzurufen. Sie rang keuchend nach Atem, und ihr war ein wenig schwindlig, aber sie wußte, sie mußte weiter, weil sie zweifellos immer noch verfolgt wurde. Sie konnte die Scheinwerfer des Hondas sehen, der mehr als dreihundert Meter entfernt am Wegesrand geparkt war. Der letzte Rest Sonnenschein war verschwunden, die Wiese schwarz. Sie konnte nicht erkennen, ob geduckte, huschende Gestalten da draußen waren, doch sie wußte, sie mußten näherkommen, und sie würde ihnen binnen einer oder zwei Minuten in die Hände fallen.
Sie rappelte sich auf, wandte sich nach Süden zum Wald, stolperte zehn oder fünfzehn Meter, bis sich ihre Beine vom Schock des Sturzes erholt hatten, dann fing sie schließlich wieder an zu laufen.
6
Sam Booker hatte im Verlauf vieler Jahre herausgefunden, daß die gesamte Länge der Küste Kaliforniens von bezaubernden Gaststätten mit Mauerwerk feinster Qualität, wettergezeichnetem Holz, gewölbten Dächern, facettiertem Glas und üppig angelegten Gärten mit Natursteinwegen geschmückt wurde. Trotz der anheimelnden Bilder, die sein Name heraufbeschwörte, und der einzigartigen malerischen Umgebung, in der es sich befand, gehörte das Cove Lodge nicht zu diesen Juwelen Kaliforniens. Es war nur ein stuckverzierter, zweistöckiger rechteckiger Klotz mit vierzig Zimmern, einer öden Cafeteria an einem Ende und ohne Swimmingpool. Die Annehmlichkeiten beschränkten sich auf je einen Eis - und Getränkeautomaten pro Stockwerk. Das Schild über dem Büro des Motels war weder auffallend noch im modernen Neonstil gehalten, nur klein und schlicht - und billig.
Der Nachtportier gab ihm ein Zimmer im zweiten Stock mit Blick aufs Meer, obwohl Sam keinen Wert auf die Aussicht legte. Wenn man den wenigen Autos auf dem Parkplatz trauen konnte, waren Zimmer mit dieser Aussicht aber offenbar nicht knapp. Jeder Stock des Hotels beherbergte zwanzig Zimmer in zwei Zehnerfluchten, zu denen man über einen Flur im Inneren gelangen konnte, dessen grellorangefarbener Teppichboden den Augen weh tat. Die Zimmer zum Osten überblickten die Cypress Lane; die im Westen den
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