Mitternacht
es.«
»Ist es nicht.«
»Warum sind Sie so negativ?«
»Weil ich es sein will.«
»Aber warum wollen Sie es sein?«
»Herrgott, Sie geben wohl nie Ruhe.«
»Pointer Sisters, >Neutron Dance<.« Sie sang ein Stück und tanzte auf der Stelle, während sie Eierschalen und andere Abfälle in den Mülleimer warf. Dann unterbrach sie die Melodie und sagte: »Was ist Ihnen zugestoßen, daß Sie sagen, das Leben sei nur hart und bitter?«
»Das interessiert Sie doch gar nicht.«
»Doch, sicher.«
Er war fertig mit dem Käse und legte das Messer weg. »Wollen Sie es wirklich wissen?«
»Wirklich.«
»Meine Mutter wurde bei einem Verkehrsunfall getötet, als ich sieben war. Ich war bei ihr im Auto, wäre beinahe selbst gestorben, war länger als eine Stunde mit ihr in dem Wrack eingeschlossen, von Angesicht zu Angesicht, und sah in ihre leere Augenhöhle und ihr eingedrücktes Ge sicht. Danach mußte ich bei meinem Vater leben, von dem sie geschieden war, und er war ein böser Hurensohn, Alko holiker, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft er mich verprügelt hat, oder gedroht, mich zu verprügeln, oder mich auf einen Stuhl in der Küche gefesselt, wo er mich dann stundenlang alleine ließ, bis ich nicht mehr konnte und mir in die Hosen machte, und wenn er kam und mich losband und sah, was ich getan hatte, verprügelte er mich deswegen.«
Es überraschte ihn, wie ihm das alles über die Lippen kam, als wären die Schleusen seines Unterbewußtseins geöffnet worden, so daß sich der ganz Schlamm daraus ergoß, der sich in langen Jahren stoischer Selbstbeherrschung angesammelt hatte.
»Kaum hatte ich die High School abgeschlossen, zog ich aus und absolvierte das Junior College, hauste in billigen Bruchbuden, teilte das Bett jede Nacht mit Armeen von Kü chenschaben, meldete mich sobald ich konnte beim Bureau, weil ich Gerechtigkeit in der Welt sehen wollte, weil ich daran mitarbeiten wollte, der Welt Gerechtigkeit zu bringen, weil es so wenig Gerechtigkeit und Fairness in meinem Leben gegeben hatte. Aber ich mußte erfahren, daß die Gerechtigkeit in mehr als der Hälfte aller Fälle nicht triumphiert. Die Bösen kommen davon, so sehr man sich auch anstrengt, sie zu Fall zu bringen, weil die Bösen ziemlich oft verdammt gerissen sind, und die Guten werden nie so böse, wie sie sein müßten, um ihre Arbeit richtig zu machen. Als Agent sieht man häufig die kranke Kehrseite der Gesellschaft, man hat es mit dem Abschaum zu tun, mit dem einen oder anderen Abschaum, und man wird mit jedem Tag zynischer, ekelt sich mehr vor den Menschen und hat sie satt.«
Er sprach so schnell, daß er fast atemlos war.
Sie hatte aufgehört zu singen.
Er fuhr mit einem außergewöhnlichen Mangel emotionaler Selbstbeherrschung fort und sprach so schnell, daß seine Worte manchmal zusammenhingen: »Und meine Frau ist gestorben, Karen, sie war wunderbar, Sie hätten sie gemocht, alle haben sie gemocht, aber sie bekam Krebs und starb, unter Schmerzen, schrecklich, nicht so leicht wie Ali McGraw im Film, nicht mit einem Seufzer und einem Lächeln und einem leisen Lebewohl, sondern unter Qualen. Und später habe ich auch meinen Sohn verloren. Oh, er lebt noch, sechzehn, er war neun, als seine Mutter starb, jetzt ist er sechzehn, er ist körperlich und geistig am Leben, aber emotional ist er tot, im Herzen ausgebrannt, kalt im Inneren, so verdammt kalt. Er mag Computer und Computerspiele und das Fernsehen, und er hört Black Heavy Metal. Wissen Sie, was Black Heavy Metal-Musik ist? Das ist Heavy Metal Rock mit einem Schuß Satanismus, das mag er, weil es ihm sagt, daß es keine moralischen Werte gibt, daß alles relativ ist, daß seine Entfremdung richtig ist, daß die Kälte in seinem Inneren richtig ist, es sagt ihm, daß alles gut ist, was gut scheint. Wissen Sie, was er einmal zu mir gesagt hat?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er sagte zu mir: >Menschen sind nicht wichtig. Menschen zählen nicht. Nur Sachen sind wichtig. Geld ist wichtig, Alkohol ist wichtig, meine Stereoanlage ist wichtig, alles, was dafür sorgt, daß es mir gutgeht, aber ich bin nicht wichtig< Er sagt zu mir, daß Atombomb en bedeutsam seien, weil sie eines Tages all die schönen Sachen in die Luft jagen würden, und nicht, weil sie die Menschen in die Luft jagten - schließlich seien die Menschen nichts, nur umweltverschmutzende Tiere, die die Welt verseuchen. Das sagte er. Er sagt mir, daß das seine Überzeugungen seien. Er sagt mir, er könne mir das alles
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