Mitternacht
Wölfisches und Groteskes folgte ihr.
Sie ließ sich fallen. Sie landete auf der linken Seite auf dem Gehweg, stieß sich sämtliche Knochen, klappte die Zähne so heftig aufeinander, daß sie glaubte, sie würden einzeln ausfallen, und schürfte sich eine Hand böse am Beton auf.
Aber sie blieb nicht liegen und bedauerte sich selbst. Sie rappelte sich auf und wandte sich, vor Schmerzen gekrümmt, vom Haus ab und lief zur Straße.
Sie war unglücklicherweise nicht vor dem Pfarrhaus, sondern im Garten dahinter. Die Rückwand von Our Lady of Mercy begrenzte den Rasen rechts, eine zwei Meter hohe Backsteinmauer umgab den Rest des Grundstücks.
Wegen der Mauer und der Bäume auf beiden Seiten konnte sie die angrenzenden Häuser im Süden und Westen auf der anderen Seite des Weges, der neben dem Grundstück verlief, nicht sehen. Und wenn sie die Nachbarn der Pfarrei nicht sehen konnte, konnten diese sie auch nicht sehen, selbst wenn sie zufällig aus dem Fenster geschaut hätten.
Diese Abgeschiedenheit erklärte, warum das Wolf-Ding es wagte, auf das Dach herauszukommen und sie im offenen wenn auch grau und mißfälligen - Tageslicht zu verfolgen.
Sie überlegte kurz, ob sie ins Haus gehen sollte, durch die Küche, den Flur, zur Eingangstür hinaus und auf die Straße, denn damit würden sie als allerletztes rechnen. Aber dann dachte sie: Bist du verrückt?
Sie machte sich nicht die Mühe, um Hilfe zu rufen. Ihr klopfendes Herz schien so sehr angeschwollen zu sein, daß die Lungen keinen Platz zum Ausdehnen mehr hatten, und sie bekam kaum genügend Luft, um bei Bewußtsein, auf den Beinen und in Bewegung zu bleiben. Sie hatte keine Luft zum Schreien. Außerdem, selbst wenn jemand sie rufen hörte, würde er nicht unbedingt erkennen können, woher die Rufe kamen; bis man sie gefunden hätte, würde sie entwe der in Stücke gerissen oder besessen sein, da das Rufen sie entscheidende Sekunden kosten würde.
Statt dessen eilte sie über den ausgedehnten Rasen und hinkte dabei ein wenig, um einen gedehnten Muskel zu entlasten, wurde aber nicht langsamer. Sie wußte, sie konnte die zwei Meter hohe Mauer nicht schnell genug überklettern, sich in Sicherheit bringen, schon gar nicht mit einer aufgeschürften Hand, daher betrachtete sie im Laufen die Bäume. Sie brauchte einen dicht bei der Mauer; vielleicht konnte sie dort hinaufklettern, an einem Ast entlangkriechen und auf den Weg oder in den Nachbargarten springen.
Sie hörte über das Plätschern und Gurgeln des Regens ein leises Knurren hinter sich und riskierte einen Blick über die Schulter. Das Pater O'Brien-Wolfding, das nur noch Fetzen eines Hemdes trug und Schuhe und Hosen ganz abgestreift hatte, sprang vom Verandadach, um sie zu verfolgen.
Schließlich sah sie einen geeigneten Baum - bemerkte aber im nächsten Augenblick ein Tor an der Südwestecke der Mauer. Sie hatte es bisher nicht gesehen, weil es von ein paar Büschen, an denen sie gerade vorbeigelaufen war, vor ihren Blicken verborgen worden war.
Sie rang keuchend nach Luft, senkte den Kopf, preßte die Arme an die Seiten und lief zu dem Tor. Sie schlug mit der Hand auf den Riegel und hieb ihn aus dem Schlitz, in dem er steckte; dann platzte sie auf die Straße hinaus. Sie bog nach links ab, weg von der Ocean Avenue in Richtung Jacobi Street, und lief durch tiefe Pfützen fast bis zum Ende des Blocks, bevor sie einen Blick zurück riskierte.
Nichts war ihr durch das Tor der Pfarrei gefolgt.
Sie war zweimal in den Händen der Außerirdischen gewesen, und sie war ihnen zweimal entkommen. Sie wußte, wenn sie ein drittes Mal gefangen würde, würde sie nicht mehr so viel Glück haben.
10
Kurz nach neun Uhr, nach alles in allem weniger als vier Stunden Schlaf, erwachte Sam Booker durch das leise Klirren und Scheppern von jemandem, der in der Küche arbeitete. Er setzte sich auf dem Sofa im Wohnzimmer auf, rieb sich die müden Augen, zog Schuhe und Schulterhalfter an und ging den Flur entlang.
Tessa Lockland summte leise, während sie Pfannen, Schüsseln und Lebensmittel auf der rollstuhlgerechten Arbeitsplatte beim Herd aufreihte und das Frühstück vorbereitete.
»Guten Morgen«, sagte sie strahlend, als Sam die Küche betrat.
»Was soll daran gut sein?« fragte er.
»Hören Sie doch nur, der Regen«, sagte sie. »Bei Regen fühle ich mich immer sauber und frisch.«
»Mich deprimiert er immer.«
»Und es ist schön, in einer warmen, trockenen Küche zu sein, wo man dem Sturm gemütlich zuhören
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