Mitternacht
beweisen. Er sagt, wenn ich das nächste Mal Leute um einen Porsche herumstehen sähe, die das Auto bewunderten, soll ich mir ihre Gesichter genau ansehen und würde feststellen, daß ihnen mehr an dem Auto als an sich selbst läge. Und sie bewunderten die Baukunst, nicht in dem Sin ne, daß sie an die Menschen dächten, die das Auto gebaut hätten. Es sei, als wäre der Porsche organisch, als würde er wachsen oder sich irgendwie selbst schaffen. Sie bewunderten ihn um seiner selbst willen, und nicht die menschliche Erfindungsgabe und Kunstfertigkeit, die er repräsentiere. Das Auto lebe mehr als sie selbst. Sie zögen Energie aus dem Auto, aus den geschmeidigen Kurven, aus dem Kitzel, wenn sie sich seine Kraft in ihren Händen vorstellen, daher werde das Auto realer und viel wichtiger als die Menschen, die es bewundern.«
»Das ist dummes Zeug«, sagte Tessa überzeugt.
»Aber das sagte er mir, und ich weiß, daß es Mist ist, und ich versuche, vernünftig mit ihm zu reden, aber er weiß auf alles eine Antwort - denkt er jedenfalls. Und ich frage mich manchmal... wenn ich nicht selbst so verdrossen wäre, so le bensüberdrüssig, so angeekelt von den Menschen, könnte ich denn überzeugender argumentieren? Wenn ich nicht so wäre, wie ich bin, könnte ich meinen Sohn dann retten?«
Er verstummte.
Er bemerkte, daß er zitterte.
Sie schwiegen beide einen Augenblick.
Dann sagte er: »Darum sage ich, daß das Leben hart und bitter ist.«
»Tut mir leid, Sam.«
»Ist nicht Ihre Schuld.«
»Ihre auch nicht.«
Er verpackte den Cheddar in Zellophan und legte ihn wie der in den Kühlschrank, während sie sich wieder ihrem Pfannkuchenteig zuwandte.
»Aber Sie hatten Karen«, sagte sie. »Es gab Liebe und Schönheit in Ihrem Leben.«
»Gewiß.«
»Nun, dann...«
»Aber es war nicht von Dauer.«
»Nichts währt ewig.«
»Genau das meine ich«, sagte er.
»Aber das bedeutet nicht, daß wir das Schöne nicht genie ßen können, solange wir es haben. Wenn Sie immer in die Zukunft sehen und sich fragen, wann dieser Augenblick der Freude aufhören wird, dann werden Sie im Leben nie wahre Freude kennenlernen.«
»Genau das meine ich«, wiederholte er.
Sie ließ den Holzlöffel in der Edelstahlrührschüssel und drehte sich zu ihm um. »Aber das ist falsch. Ich meine, es gibt im Leben Augenblicke der Freude, des Staunens, der Lust... und wenn wir die Gelegenheit nicht beim Schöpf ergreifen, wenn wir Gedanken an die Zukunft nicht manchmal abstellen und den Augenblick genießen, dann haben wir keine Erinnerungen an Freude, die uns durch schlechte Zeiten bringen - und keine Hoffnung.«
Er sah sie an und bewunderte ihre Schönheit und Vitalität. Aber dann dachte er daran, wie sie altern würde, wie sie gebrechlich werden und sterben würde, wie alles sterben mußte, und er ertrug es nicht mehr, sie anzusehen. Er sah statt dessen zum regennassen Fenster über der Spüle hinaus. »Nun, es tut mir leid, wenn ich Ihnen die Stimmung verdorben habe, aber Sie müssen zugeben, daß Sie darum gebeten haben. Sie wollten unbedingt wissen, wie ich so ein Trübsalbläser sein kann.«
»Oh, Sie sind kein Trübsalbläser«, sagte sie. »Sie gehen weit darüber hinaus. Sie sind ein regelrechter Dr. Doom.«
Er zuckte die Achseln.
Sie wandten sich wieder ihrer Küchenarbeit zu.
11
Nachdem sie durch die Tür in der Mauer der Pfarrei geflohen war, blieb Chrissie länger als eine Stunde in Bewegung, während sie überlegte, was sie jetzt machen sollte. Sie hatte vorgehabt, in die Schule zu gehen und Mrs. Tokawa ihre Ge schichte zu erzählen, wenn Pater Castelli ihr nicht helfen könnte. Aber jetzt war sie nicht mehr bereit, Mrs. Tokawa zu vertrauen. Nach ihrer Begegnung mit den Priestern war ihr klargeworden, daß die Außerirdischen wahrscheinlich sämt liche mächtigen Leute in Moonlight Cove als ersten Schritt ihrer Eroberung übernommen hatten. Sie wußte bereits, daß die Priester besessen waren. Sie war sicher, daß auch die Polizei übernommen worden war, daher mußte sie logischerweise annehmen, daß auch die Lehrer unter den ersten Opfern gewesen waren.
Während sie von Viertel zu Viertel schlich, verfluchte sie den Regen abwechselnd und war dankbar darum. Ihre Schuhe, die Jeans und das Flanellhemd waren wieder durchnäßt, und sie fror durch und durch. Aber das trübe, graue Licht und der Regen hielten die Leute in den Häusern und boten ihr wenigstens etwas Schutz. Zusätzlich wurde ein dünner kalter Nebel vom Meer
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