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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Schultern und Armen schmerzten; er strengte sich viel mehr als nötig an, um die Tür zuzuhalten.
    Nach einem Augenblick schien der Junge zu dem Ergebnis zu kommen, daß sein Opfer doch nicht in der Garage war, und gab auf. Er lief an der Seite der Garage entlang zum Weg zurück. Während er davonhastete, gab er ein kaum hörbares Winseln von sich; es war ein Laut von Schmerz und Verlangen... und tierischer Erregung. Er bemühte sich, das Winseln zu unterdrücken, stieß es aber dennoch aus.
    Sam hörte katzenhafte Schritte aus allen Richtungen näher kommen. Die drei anderen potentiellen Täter gesellten sich wieder zu dem Jungen auf den Weg; ihre Stimmen waren von derselben Hektik erfüllt, die auch seine kennzeichnete, aber sie waren jetzt so weit entfernt, daß Sam nicht mehr verstehen konnte, was sie sagten. Sie verstummten unvermittelt, und einen Augenblick später liefen sie gemeinsam den Weg entlang nach Norden, als wären sie Angehörige eines Wolfsrudels, die instinktiv auf die Witterung von Wild oder Gefahr reagierten. Ihre verstohlenen Schritte wurden leiser, wenig später war die Nacht wieder still wie ein Grab. Sam stand noch mehrere Minuten, nachdem die Meute verschwunden war, in der dunklen Garage und hielt den Türknauf fest.

15
    Der tote Junge lag in einem Abwasserkanal an der Landstra ße südöstlich von Moonlight Cove. Sein frostweißes Gesicht war blutbefleckt. Seine aufgerissenen Augen sahen im Licht von zwei auf dreibeinigen Stativen stehenden Scheinwerfern der Polizei starr zu einem Ufer, das unendlich ferner war als das des nahen Pazifik.
    Loman Watkins, der neben einem der Scheinwerfer stand, sah auf den kleinen Leichnam hinab und zwang sich, den Tod von Eddie Valdoski zu begreifen, denn Eddie, der erst acht Jahre alt gewesen war, war sein Patenkind. Loman war mit George, Eddies Vater, in die High School gegangen, und er hatte Eddies Mutter, Nella, auf eine rein platonische Weise fast zwanzig Jahre lang geliebt. Eddie war ein prächtiger Junge gewesen, klug und wißbegierig und wohlerzogen. War gewesen. Und jetzt... Gräßlich verstümmelt, wild gebissen, zerkratzt und zerfetzt, und mit gebrochenem Genick, war der Junge wenig mehr als ein Haufen verwesender Abfall, sein vielversprechendes Potential war vernichtet, die Flamme ausgepustet, man hatte ihm das Leben genommen und ihn dem Leben.
    Loman hatte in einundzwanzig Jahren Polizeidienst viel Schreckliches gesehen, aber dies war wahrscheinlich das Schlimmste. Und er hätte aufgrund seiner persönlichen Be ziehung zu dem Opfer völlig erschüttert und am Boden zerstört sein müssen. Doch der Anblick des kleinen, verstümmelten Leichnams berührte ihn kaum. Trauer, Bedauern, Wut und eine Vielzahl andere Empfindungen erfüllten ihn, aber nur leicht und kurz, so wie ein unsichtbarer Fisch im dunklen Meer an einem Schwimmer vorbeiziehen mochte. Kummer, der ihn wie Nägel hätte durchbohren sollen, verspürte er keinen.
    Barry Sholnick, ein neuer Beamter der kürzlich erst erweiterten Polizei von Moonlight Cove, kauerte über dem Graben, einen Fuß auf jeder Seite, und machte ein Foto von Eddie Valdoski. Einen Moment spiegelte sich die silberne Reflektion des Blitzlichts in den starren Augen des Jungen. Lomans zunehmendes Unvermögen, etwas zu empfinden, war seltsamerweise das einzige, das starke Empfindungen in ihm hervorrief. Es machte ihm eine Heidenangst. Seine Unfähigkeit, Gefühle zu erzeugen, machte ihm in letzter Zeit zunehmend zu schaffen; es war eine unerwünschte, aber offenbar unumkehrbare Verhärtung des Herzens, die seinen Herzvorhof bald in Marmor und die Herzkammern in gewöhnlichen Stein verwandeln würde.
    Er gehörte jetzt zu den Neuen Menschen und unterschied sich in vieler Hinsicht von dem Mann, der er einst gewesen war. Er sah immer noch gleich aus - einsfünfundsiebzig, untersetzt, ein für einen Mann in seinem Beruf ungewöhnlich breites und unschuldiges Gesicht -, aber er war nicht nur das, was er zu sein schien. Vielleicht war bessere Be herrschung der Gefühle, eine stabilere und analytischere Denkweise der unvorhergesehene Vorteil der Veränderung. Aber war es wirklich ein Vorteil? Keine Gefühle? Keine Trauer?
    Die Nacht war zwar kalt, dennoch brach ihm auf Gesicht, den Handrücken und unter den Achseln saurer Schweiß aus.
    Dr. Jan Fitzgerald, der Gerichtsmediziner, war anderswo beschäftigt, aber Victor Callan, der Inhaber von Callans Bestattungsunternehmen und stellvertretender Gerichtsmediziner, half einem

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