Mitternachtsflut
unserer Zeit, das kann ich gerne beschwören. Und wenn es jetzt soweit ist, dann kann ich etwas mit Sicherheit sagen: Marie – er hat seine Liebe wiedergefunden – er hat sein Herz zurück!!“ Marie zuckte zusammen. „Genau das waren seine Worte“, flüsterte sie. „Manolo du bist mir unheimlich – woher kannst du das wissen?“ Sehr langsam wandte Manolo ihr sein Gesicht zu und versenkte seine blauen Augen in den ihren. Sie sah das Blitzen und Funkeln in seinen Augen, sie sah das Lächeln auf seinem Gesicht, einem Gesicht das auch heute noch, wunderschön war. „Marie, du bist eine kluge Frau. Aber glaubst du auch an die unglaubliche Kraft der Liebe? Glaubst du daran, dass ein Vater der seinen Sohn mehr liebt als sein eigenes Leben, ihn nie im Stich lässt? Glaubst du, dass eine Seele durch die Zeiten wandern kann, um einen Schwur zu erfüllen?“ Marie musste nicht lange nachdenken und nickte wortlos. „Ich kann dir nicht mit Gewissheit sagen, wie lange ich schon über ihn wache. Ich habe mit ihm gelitten und mit ihm gesucht. Nun habe ich dich gefunden – ich habe von der ersten Sekunde an gespürt, dass du die Richtige bist, Marie, du wilde, leicht verrückte Tochter des Ozeans.“ „Das ist unmöglich, das gibt es nicht. Du kannst nicht sein Vater sein!!“ Manolo lachte. „Ich hatte gerade versucht dir das mit der unsterblichen Seele zu erklären. Ich habe nicht gesagt, dass es leicht zu glauben ist. Nein, es ist vielmehr sehr kompliziert. Es geht nicht nach unseren Regeln. Der junge Fürst hat vor so vielen Jahren in seiner Verzweiflung bei den Geistern der Ahnen geschworen, sie wieder zu finden. Er hat sie um ihre Hilfe gebeten. Die Geister aber stellen Bedingungen, denen man sich ohne nachzufragen unterwerfen muss. Tut man das nicht, ist alles vergebens.“ Marie war nicht in der Lage, einen wirklich klaren Gedanken zu fassen. „Manolo, ich habe Angst.“
Er schüttelte nur den Kopf. „Marie, hör auf zu grübeln. Horch lieber in dich hinein, hör auf dein Herz!!“ „Aber was soll ich jetzt tun, ich weiß doch nicht was ich tun soll!“ Marie sah Manolo vollkommen verwirrt an. „Bitte hilf mir! Das ist alles so, nun ich denke unwirklich trifft es ganz gut.“ Das für ihn typische, leicht zynische Lächeln huschte über sein Gesicht, doch sein liebevoller Blick machte alles wett. „ Du kennst die Legende, du bist nun ein Teil von ihr. Hör auf dein Herz und lebe sie weiter aber am allerwichtigsten ist; sei dir darüber klar was du für ihn empfindest. Erst wenn du dir deiner Gefühle ganz sicher bist, wird das geschehen, was geschehen muss. Keiner von uns kann es beschleunigen, keiner kann die Zukunft in die eigene Hand nehmen. Du musst jetzt viel Geduld haben und Disziplin. So und nun wird gefrühstückt, ich habe jetzt wirklich Hunger.“
So als ob es das Natürlichste auf der Welt wäre, dass er ihr gerade eröffnet hatte, dass er oder seine Seele oder wie auch immer seit 500 Jahren hier lebten und sein wundervoller Sohn als Hauptfigur einer Legende in ihr seine große Liebe wieder gefunden hatte, streckte sich Manolo und schlenderte pfeifend in sein Haus.
Kurz darauf duftete es nach Eiern, Speck und Kaffee und man hörte ihn mit Tellern und Tassen hantieren. Seine weiße Mähne erschien in der Türe und Marie hörte seine lächelnde Stimme: „Marie, nun komm schon oder soll ich ewig warten?“ „Ewig! Du hast leicht reden, du kannst mit diesem Wort ja ruhig großzügig umgehen“, grummelte Marie aber sie ging doch langsam und nachdenklich, die Decke fest an sich gedrückt, zu ihm ins Haus – verhungern machte nun ja auch keinen Sinn.
Kapitel 8
In den nächsten Tagen erklärte Manolo ihr geduldig die Hintergründe von zahllosen Legenden und Geschichten. Vor allem die Legende der „Mitternachtsflut“ versuchte er ihr möglichst ausführlich zu offenbaren. Er machte ihr bewusst, dass sie jetzt einfach nur viel Geduld würde aufbringen müssen. Sobald sich der junge Guanche ihr gezeigt hatte, sobald er damit bewiesen hatte, dass er glaubte, dass sie die Richtige sei, lag alles weitere in Händen der Geister der Ahnen. So erlaubten sie ihm nur, sich in seiner menschlichen Gestalt zu zeigen, wenn auch sie es fühlten, dass er tatsächlich die richtige Seele gefunden hatte.
Damit sei bereits der erste große Schritt getan, wenn es nun gelang, die Ahnen zu überzeugen, dass Marie die richtige Frau war, dann würde alles so kommen, wie es das Schicksal bestimmt hatte. Das war für
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