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Mitternachtsflut

Mitternachtsflut

Titel: Mitternachtsflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Ketterl
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verdatterten Touristin hinter ihnen erklärte, wie höchst aphrodisierend Mangos seien und wie viel man für welchen Effekt davon essen müsse. Die arme Frau starrte den gutaussehenden Vicente nur schmachtend an.
    Die Marktfrau platzte schier vor unterdrücktem Lachen und auch Marie konnte sich gerade noch beherrschen. Es bleibt ein Geheimnis, mit wie vielen Mangos sich die Dame in der Folge eindeckte.
    „So so, zwei Mangos gemeinsam gegessen reichen also für mehrere vergnügliche Stunden?“ Marie musste noch immer grinsen. „Na also bitte, Prinzessin. Ich bin erschüttert. Solltest du dich etwa daran nicht erinnern? Willst du mein Ego jetzt komplett in Grund und Boden stampfen?“ Vicente schüttelte den Kopf.
    „Schon gut, schon gut! Ich erinnere mich. Ich muss sogar zugeben, dass ich mich nicht ungern erinnere.“ Marie lächelte zu Vicente hinüber. „Wir hatten eine wunderbare Zeit. Ich habe nie etwas anderes behauptet.“
    „Ginge es nach mir, könnten wir die immer noch haben.“ Vicentes Stimme war leise und nachdenklich geworden. Sie waren inzwischen bei der kleinen Kirche auf halber Höhe der Strandpromenade angekommen. Von hier aus hatte man einen atemberaubenden Blick hinaus auf den Atlantik. In zahllosen Nächten hatten sie diesen Blick gemeinsam genossen. Vicente stellte die Tüte mit ihren Einkäufen vorsichtig auf dem kleinen Mauervorsprung neben der Kirche ab und zog sie behutsam auf das Mäuerchen, auf dem sie früher so oft gesessen waren. Wie früher ließen sie ihren Blick über das Meer wandern und suchten den Horizont. Nur ungern erinnerte Vicente sich an seine Pflicht, aber seine Mutter im Restaurant zu versetzen war nicht empfehlenswert.
    Marie kannte die temperamentvolle Donna Maria recht gut und wusste, dass sie ausgesprochen ungemütlich werden konnte. Vicente brachte sie samt ihren Tüten und Taschen noch zu ihrem Auto. Nachdem alles verstaut war, wandte sie sich ihm zu, um sich zu verabschieden. Stattdessen aber beugte sich Vicente zu ihr hinunter und küsste sie vorsichtig auf den Mund.
    Bevor sie etwas sagen konnte, legte er ihr den Zeigefinger zart auf die Lippen. „Nein, Marie, bitte sag jetzt nichts. Sei mir nicht böse. Ich liebe dich noch immer. Du bedeutest mir sehr viel. Ich wollte nur, dass du das weißt! Es war sehr schön, dich wieder zu sehen.“ Mit diesen Worten nahm er ihr Gesicht in seine schlanken Hände, küsste sie auf die Stirn und wandte sich dann ab. Fast fluchtartig verschwand er im Strom der Touristen, die sich jetzt am Abend auf die Promenade wälzten. Rasch stieg Marie in ihr Auto und ließ so schnell sie konnte die Stadt hinter sich.

Kapitel 10
    Was war nur los mit ihr? Warum ließ sie das zu? Ja, sie hatte es sogar genossen. Sie durfte das nicht zulassen. Während sie den kurvigen Weg hoch nach Masca einschlug, purzelten in ihrem Kopf alle möglichen Gedanken durcheinander. Wie konnte sie so viel Nähe mit Vicente zulassen, wenn sie sich doch nur eines wünschte – Miguelangel wieder zu sehen? War es ihre eigene Angst vor dem Unerklärlichen? Angst vor dem das sie nicht greifen konnte, das sie nicht bewusst steuern konnte, so wie Vicentes Zuneigung zu ihr? Brauchte sie Sicherheit, dass sie überhaupt begehrenswert genug war, um hier in ein Märchen hinein gezogen zu werden? Sie dachte an Vicentes zarten Kuss und verglich ihn mit Miguelangels feurigem Kuss. Der Gedanke an Miguelangel ließ einen Schauder über ihren Rücken laufen. Nein, sie musste fest daran glauben. Sie durfte das nicht aufs Spiel setzen. Als die Träne auf ihren nackten Oberschenkel fiel war sie überrascht. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie weinte. Sie trat aufs Gas und nahm die Kurven geradezu todesmutig. Sie brauchte jetzt Manolo. Seine ruhige Sicherheit, seine warme Stimme und seine Arme, die sie jetzt ganz dringend festhalten mussten. Gerade heute Nacht! Noch nie war Marie der Weg nach Masca so lang erschienen...und doch so kurz. Die unterschiedlichsten Gefühle tobten in ihr, fast so heftig wie die Flut unten am Meer. Als sie ihren Käfer in der kleinen Hütte oben am Weg untergestellt und ihre Tüten, jetzt allein, den Weg hinunter geschleppt hatte, machte sie sich auf die Suche nach Manolo.
    Doch er war unauffindbar. Sie suchte alle Gassen und alle Häuser von Bekannten nach ihm ab – ohne Erfolg. Ausgerechnet jetzt, ausgerechnet heute musste er verschwinden. Marie war am verzweifeln. Es wurde immer später, die Nacht war sternenklar und das Warten wurde zur Qual.
    Manolo

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