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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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was für mich unerreichbar war.
    Paul stammelte eine Zustimmung, während ich ausstieg, die Autotür zuschlug und abschloss.
    »Ich muss mich beeilen«, sagte ich.
    »Ich wusste gar nicht, dass du noch was vorhast«, entgegnete Paul, aber ich war bereits weg.
    Ich sprintete über den Parkplatz, vorbei an den quadratischen Wohnheimen, der Yancey Hall mit ihren Buttercremesäulen und dem Brunnen mit dem lachenden Satyr vor der Seward Hall. Meine Turnschuhe machten auf dem mit Backsteinen gepflasterten Weg klatschende Geräusche, und ich folgte dem Lied, gab der Anziehung nach.
    Die Musik wurde immer intensiver und vermischte sich mit der Musik, die mich in Gedanken ohnehin ständig begleitete – mit jenem psychischen Gefüge, das mir Orientierung bot, das mir sagte, wo ich mich befand auf der Welt. Der gepflasterte Weg endete, doch ich rannte weiter und stolperte über die unebene, mit hohem Gras bedeckte Wiese. Es fühlte sich an, als spränge ich über den Rand der Welt. Die herbstliche Abendsonne glühte hinter den Hügeln, und mein einziger Gedanke war:
Ich komme zu spät.
    Aber da war er, wer auch immer
er
sein mochte: weit entfernt in den Hügeln, schon fast außer Sicht. Er war nicht viel mehr als eine Silhouette, eine dunkle Gestalt von nicht erkennbarer Größe auf einem endlosen Hügel aus gleißendem Gold. Er streckte seitlich die Hände aus und drückte sie gleichzeitig nach unten; die Geste erweckte den Anschein, als wollte er die Erde dazu bringen, anzuhalten. Kurz bevor er sich so weit von mir wegbewegte, dass ich ihn nicht mehr von den fernen, dunklen Bäumen hätte unterscheiden können, blieb er stehen.
    Der Gesang ging weiter und war laut auf die Art, wie Musik in Kopfhörern laut ist – er schien von meinem Hirn und für mein Hirn allein geschaffen worden zu sein. Aber jetzt wusste ich irgendwie, dass die Musik nicht für mich bestimmt war. Sie erklang für jemanden oder etwas anderes, und ich hatte lediglich das Pech gehabt, sie auch zu hören.
    Ich war zutiefst enttäuscht.
    Die männliche Gestalt drehte sich zu mir um und blickte mich einen Moment lang an, von Angesicht zu Angesicht. Ich war gefangen, als wäre ich am Boden festgewachsen: nicht von seinem anhaltenden Gesang, der sich gegen die Musik drängte, die schon in meinem Kopf war, und der mir befahl:
Wachse erhebe dich folge mir
 – sondern von seiner Fremdartigkeit. Von seinen Fingern, die über der Erde ausgebreitet waren und etwas niederzuhalten schienen, von seinen gestrafften Schultern, die Kraft und Unergründbarkeit ausdrückten, aber vor allem von dem mächtigen, dornigen Geweih auf seinem Kopf, das wie Zweige in den Himmel emporragte.
    Dann war er plötzlich fort, und ich hatte sein Verschwinden verpasst, als in dem Augenblick die Sonne vom Rand der Hügel fiel und die Welt der Abenddämmerung überließ. Ich blieb allein zurück, ein wenig außer Atem, und spürte meinen Pulsschlag in der Narbe über meinem linken Ohr. Ich starrte auf die Stelle, an der er gestanden hatte. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich diese gehörnte Gestalt lieber nie gesehen hätte, um einfach so weitermachen zu können wie zuvor. Oder wünschte ich mir eher, ich wäre früher hier gewesen, um herausfinden zu können, warum ich jetzt wieder Wesen wie ihn sah?
    Ich wandte mich ab, um zur Schule zurückzugehen, als mich irgendetwas von der Seite rammte. Ein fester Körper stieß mich beinahe um, ich rang um mein Gleichgewicht.
    Der Besitzer dieses Körpers japste: »O Gott, tut mir leid!«
    Die Stimme klang schmerzlich vertraut. Deirdre. Meine beste Freundin. Konnte ich sie immer noch so bezeichnen? Ich keuchte: »Ist schon gut. Ich brauche schließlich nur eine Niere.«
    Errötend fuhr Dee herum und setzte so schnell eine neue Miene auf, dass ich den früheren Ausdruck nicht mehr erkennen konnte. Ich hatte Dee – ihr schmales, blasses Gesicht, beherrscht von grauen Augen – schon so oft in Gedanken betrachtet, dass es mir seltsam vorkam, sie jetzt ganz normal anzuschauen.
    »James.
James!
Hast du
sie
gesehen? Sie müssen direkt an dir vorbeigekommen sein!«
    Mühsam riss ich mich zusammen. »Wer sind
sie?
«
    Sie trat einen Schritt von mir zurück, kniff die Augen zusammen und sah zum Hügel, der in der Dämmerung lag. »Die Feen. Es waren … ich weiß nicht genau – vier? Oder fünf?«
    Langsam, aber sicher machte sie mich nervös. Sie bewegte sich so schnell, dass ihr zotteliger Pferdeschwanz in kleinen Kreisen herumschwang. »Okay,

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