Mitternachtsmorde
wiederzusehen und sie der kalten Hand des Todes zu entreißen. Worauf warteten sie noch? Wen interessierte es, ob diese Nikita Stover lebte oder nicht? Sie, Ruth, hatte die Manschetten. Sie hatte alles, was sie brauchte, um ihre Tochter wiederzusehen. Byron hatte seine todbringenden Pläne geschmiedet und lauerte geduldig wie eine Spinne im Netz, aber schließlich lag auch nicht seine Tochter im Grab.
Tagelang war sie wie betrunken gewesen vor Leidenschaft und Verliebtheit, aber nun war sie so ungeduldig, dass sie ihn am liebsten gepackt und geschüttelt hätte. Wie konnte er es wagen, ihr die Möglichkeit in die Hand zu geben, ihre Tochter wiederzusehen, und ihr dann das Versprechen abnehmen, erst dann zu gehen, wenn er die Zeit für gekommen hielt? Das ging über ihre Kräfte.
Er wollte diese Stover ausschalten, wenn sie allein war, weil er möglichst keinen Polizisten töten wollte. Damit meinte er natürlich Knox, wobei Stover eigentlich ebenfalls Polizistin war, was aber offensichtlich nicht zählte. Ruth hatte Knox immer geliebt, aber schlagartig zählte das nicht mehr. Wenn er das letzte Hindernis war, das sie von einem Wiedersehen mit Rebecca trennte, dann war es ihr egal, ob er ins Kreuzfeuer geriet. Außerdem wäre er, wenn sie in die Vergangenheit reiste, um Rebecca zu retten, sowieso noch am Leben, oder? Wenn sie Rebecca rettete, würde alles anders laufen, und das hier würde nie passieren, also setzte sie nicht wirklich Knox’ Leben aufs Spiel.
Und er schlief mit dieser Zukunftsagentin. Er hatte Rebecca verraten.
Sie kannte Knox, sie kannte seine Gewohnheiten, sie wusste, wie nahe er seinem Vater stand. Ein Gedanke wuchs in ihr, und so kam es, dass sie plötzlich sagte: »Ich habe eine Idee.«
Augenblicklich aufmerksam, sah Byron sie an. Ihre Ungeduld erlosch, weil er ihr immer zuhörte.
»Ich glaube, ich weiß, wie wir Knox finden können«, sagte sie.
»Wie denn?«
»Über seinen Vater.«
»Wie das denn? Ich weigere mich, seinen Vater zu kidnappen, um ihn als Köder zu verwenden. Je mehr Menschen in die Sache verwickelt sind, desto leichter kann sie schiefgehen.«
»Nein, nein, ich möchte doch nicht, dass du ihn entführst. Ich brauche ihn nur anzurufen und zu fragen, ob er weiß, wo Knox ist. Vielleicht weiß Kelvin es nicht, aber nachdem sich die beiden so nahe stehen, kann ein Versuch nicht schaden.«
Er überdachte das kurz; sie konnte fast sehen, wie er überlegte, was dafür und was dagegen sprach. Schließlich sagte er: »Normalerweise fände ich es zu riskant, deinen Namen bei einem Vorhaben wie diesem mit seinem Namen in Zusammenhang zu bringen, aber da du sowieso nicht mehr lange hier sein wirst, tut das wohl nichts zur Sache.«
Es tat selbstverständlich nichts zur Sache, dachte sie ungeduldig. Das Einzige, was wirklich zählte, war, dass sie zu Rebecca kam.
Sie schlug die Telefonnummer des Haushaltswarenladens nach und rief von ihrem Handy aus an. Als Kelvin an den Apparat ging, klang er so sehr nach Knox, dass es ihr im ersten Moment die Sprache verschlug.
»Kelvin, hier ist Ruth Lacey. Ich versuche schon den ganzen Tag, Knox aufzutreiben. Weißt du vielleicht, wo er ist?«
»Klar. Er ist bei mir zu Hause, um zu duschen und Wäsche zu waschen. Ich habe keine Fragen gestellt.« Er lachte. »Ich denke mir immer, je weniger ich weiß, desto weniger graue Haare bekomme ich.«
Sie lachte ebenfalls und sagte dann: »Danke. Dann rufe ich ihn dort an.« Sie beendete das Gespräch und wandte sich triumphierend an Byron. »Er ist in Kelvins Haus, wo er, laut Kelvin, duscht und seine Wäsche wäscht. Und ich gehe jede Wette ein, dass Stover bei ihm ist.«
Nachdem Ruth aufgelegt hatte, machte sich Kelvin wieder daran, die Waren einzuräumen und seine Kunden zu bedienen, aber irgendetwas nagte an ihm. Als Knox angerufen und gefragt hatte, ob er das Haus benutzen konnte, hatte er nicht ausdrücklich gesagt, dass niemand wissen durfte, wo er sich aufhielt, aber vielleicht hatte er das nur nicht betont, weil er dachte, dass Kevin automatisch wüsste, was er erzählen durfte und was nicht. Kelvin wusste das nicht automatisch, und genau das machte ihm zu schaffen.
Eine Viertelstunde später gewannen die Bedenken die Oberhand, und er rief auf Knox’ Handy an.
»Ja, Dad, was gibt’s?«
Die Wunder der Rufnummernanzeige, dachte Kelvin. »Hast du fertig geduscht und gewaschen?«
»Geduscht ja, und die Kleider sind im Trockner. Und deshalb hast du angerufen?«
»Natürlich nicht. Du
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