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Mitternachtspalast

Mitternachtspalast

Titel: Mitternachtspalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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doch seine Haut wirkte krankhaft blass. Es war die Haut eines Mannes, der nie das Sonnenlicht sah. In den buntgemischten Straßen Kalkuttas tummelten sich Bengalen, Armenier, Juden, Angelsachsen, Chinesen, Muslime und so viele andere, die im Land der Göttin Kali ihr Glück oder Zuflucht suchten. Dieses Gesicht konnte jeder und keiner dieser Gruppen angehören.
    Carter spürte den bohrenden Blick des Besuchers im Rücken, der ihn musterte, während er auf dem Tablett, das Vendela ihnen gebracht hatte, zwei Tassen Tee einschenkte.
    »Nehmen Sie doch bitte Platz«, forderte Carter den Fremden höflich auf. »Zucker?«
    »Ich trinke ihn wie Sie.«
    Die Stimme des Unbekannten war völlig ausdruckslos. Carter schluckte, dann setzte er ein freundliches Lächeln auf, drehte sich um und reichte dem Mann die Teetasse. Lange, spitze Finger in einem schwarzen Handschuh schlossen sich ohne zu zögern um das heiße Porzellan. Carter nahm in seinem Sessel Platz und rührte den Zucker in seiner Tasse um.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie um diese Zeit störe, Mr Carter. Ich kann mir vorstellen, dass Sie viel zu tun haben, also werde ich mich kurz fassen«.
    Carter nickte höflich.
    »Was ist der Grund Ihres Besuchs, Herr …«
    »Jawahal, Mr Carter«, erklärte der Unbekannte. »Ich will offen zu Ihnen sein. Meine Frage mag Ihnen sonderbar vorkommen, aber haben Sie vergangene Nacht oder im Laufe des heutigen Tages ein Kind aufgenommen, ein wenige Tage altes Baby?«
    Carter runzelte die Stirn und versuchte überrascht zu wirken. Nicht zu viel, nicht zu wenig.
    »Ein Kind? Ich glaube, ich verstehe nicht.«
    Der Mann, der behauptete, Jawahal zu heißen, lächelte breit.
    »Sehen Sie, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die Geschichte ist ein wenig heikel. Ich vertraue auf Ihre Diskretion, Mr Carter.«
    »Das können Sie, Mr Jawahal«, erwiderte Carter und nahm einen Schluck aus seiner Teetasse.
    Der Mann, der seinen Tee noch nicht angerührt hatte, entspannte sich und begann zu erklären.
    »Ich besitze ein großes Textilunternehmen im Norden der Stadt«, erklärte er. »Ich bin das, was man einen Mann in angesehener Position nennen könnte. Manche nennen mich reich, und sie haben nicht unrecht. Zahlreiche Familien sind von mir abhängig, und es ist mir ein Anliegen, ihnen zu helfen, soweit es mir möglich ist.«
    »Wir alle tun, was wir können«, setzte Carter hinzu, ohne den Blick von den dunklen, unergründlichen Augen abzuwenden.
    »Selbstverständlich«, fuhr der Unbekannte fort. »Der Grund, der mich in Ihre ehrenwerte Einrichtung geführt hat, ist eine traurige Angelegenheit, die ich gerne schnellstmöglich lösen möchte. Vor einer Woche hat ein Mädchen, das in einer meiner Fabriken arbeitet, einen Jungen zur Welt gebracht. Der Vater des Kindes ist offenbar ein Herumtreiber anglo-indischer Herkunft, der ein Verhältnis mit ihr hatte und dessen Aufenthaltsort unbekannt ist, seit er von der Schwangerschaft des Mädchens erfuhr. Die Eltern des Mädchens sind wohl strenge Muslime aus Delhi, die nichts von der ganzen Sache wussten.«
    Carter nickte gemessen, um sein Mitgefühl angesichts der berichteten Geschichte zum Ausdruck zu bringen.
    »Vor zwei Tagen erfuhr ich von einem meiner Vorarbeiter, dass das Mädchen in einem Anflug von Wahnsinn aus dem Haus geflohen ist, wo sie bei einigen Angehörigen lebte, offensichtlich in der Absicht, das Kind zu verkaufen«, fuhr Jawahal fort. »Denken Sie nicht schlecht von ihr, sie ist ein vorbildliches Mädchen, aber der Druck, der auf ihr lastete, war zu groß. Sie dürften nicht erstaunt sein darüber. Dieses Land hat, genau wie Ihres, Mr Carter, keine Nachsicht mit menschlichen Schwächen.«
    »Und Sie glauben, das Kind könnte hier sein, Mr Jahawal«, fragte Carter, um wieder aufs Thema zurückzukommen.
    »Jawahal«, korrigierte der Besucher. »Sehen Sie, nachdem ich von den Vorfällen erfuhr, fühlte ich mich in gewisser Weise verantwortlich. Schließlich arbeitete das Mädchen für mich. Ich durchsuchte mit ein paar vertrauenswürdigen Vorarbeitern die Stadt, und wir fanden heraus, dass das Mädchen das Kind an einen verabscheuungswürdigen Schurken verkauft hat, der Kinder als Bettler verschachert. Eine ebenso bedauerliche wie gängige Praxis heutzutage. Wir fanden ihn, doch durch Umstände, die jetzt nichts zur Sache tun, konnte er im letzten Moment entwischen. Das war heute Nacht, ganz in der Nähe dieses Waisenhauses. Ich habe Grund zu der Annahme, dass dieser Kerl das

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