Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
auf Sie zu.«
»Inwiefern?«
»Ihre Großmutter hat ihr eine nicht unerhebliche Geldsumme vermacht, die auf einer der Banken hier im Norden hinterlegt ist. Fünfzehntausend Dollar, um genau zu sein, über die Katharine Louise mit ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag frei verfügen kann. Wenn sie vorher heiratet, natürlich schon früher. Tja, man hat Sie testamentarisch zum Treuhandverwalter bestimmt, und auch zum Vormund des Mädchens.«
»Vormund!« Cain schnellte ungehalten aus dem Ledersessel hoch.
Woodward zuckte irritiert zurück. »Was sollte Ihre Mutter sonst tun? Das Mädchen ist gerade mal achtzehn Jahre alt. Es handelt sich um ein beträchtliches Geldvermögen, und meines Wissens gibt es keine weiteren Angehörigen.«
Cain beugte sich über die Schreibtischplatte aus blank poliertem Mahagoniholz. »Ich übernehme weder die Verantwortung für ein achtzehnjähriges Mädchen noch die Verwaltung einer heruntergewirtschafteten Baumwollplantage.«
Woodwards Stimme wurde um eine Nuance schriller.
»Das ist selbstverständlich Ihre Sache. Ich räume auch gern ein, dass ein Mann mit Ihrem – ähm – Unternehmungsgeist schwerlich die Vormundschaft für eine so junge Frau übernehmen kann. Wie gesagt, die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wenn Sie nach Charleston fahren und sich dort die Plantage ansehen, können Sie Mr. Ritter Ihre endgültige Entscheidung mitteilen.«
»Ich habe mich bereits entschieden«, versicherte Cain tonlos. »Ich habe dieses Erbe nicht gewollt und nehme es auch nicht an. Schreiben Sie das bitte Mr. Ritter. Soll er sich doch einen anderen Dummen suchen.«
Übellaunig kehrte Cain nach Hause zurück. Dass sein Stalljunge nicht kam, um die Kutsche in Empfang zu nehmen, machte es auch nicht besser.
»He? Wo zum Teufel steckst du?« Er rief zweimal, ehe Kit angelaufen kam. »Verflucht! Wenn du für mich arbeiten willst, hast du gefälligst da zu sein, wenn ich dich brauche. Lass mich nicht noch einmal warten!«
»Erst einmal guten Tag, Sir«, grummelte Kit stattdessen.
Er ignorierte die spitze Bemerkung, sprang aus der Kutsche und lief über den Hof ins Haus. Er steuerte direkt in die Bibliothek und goss sich einen doppelten Whiskey ein. Nachdem er ihn in einem Zug geleert hatte, zog er Woodwards Brief aus der Jackentasche und brach das rote Wachssiegel.
In dem Kuvert befand sich ein einzelner Briefbogen mit einer flüchtigen, fast unleserlichen Handschrift.
6. März 1865
Lieber Baron,
ich kann mir vorstellen, wie erstaunt Du bist, nach so vielen
Jahren einen Brief von mir zu bekommen. Noch dazu nach meinem Tod. Ein grässlicher Gedanke. Ich will noch nicht sterben. Aber das Fieber lässt nicht nach, und ich rechne mit dem Schlimmsten. Solange ich noch die Kraft habe, werde ich das Wenige regeln, das es für mich zu regeln gibt.
Wenn Du Entschuldigungen von mir erwartest, muss ich Dich enttäuschen. Die Ehe mit Deinem Vater war wie eine quälende Strafe für mich. Ich bin keine besonders mütterliche Frau, zumal Du ein überaus anstrengendes Kind warst. Irgendwann hatte ich die ganze Plackerei restlos satt. Allerdings muss ich einräumen, dass ich Deine militärischen Erfolge in den Zeitungen interessiert verfolgt habe. Es erfüllt mich mit Stolz, dass aus Dir ein attraktiver, erfolgreicher Mann geworden ist.
Aber das alles hat nichts mit dem Anlass meines Briefes zu tun. Ich war Garrett Weston, meinem zweiten Mann, sehr verbunden. Er hat mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, und deshalb sehe ich mich genötigt, Dir jetzt zu schreiben. Auch wenn ich seine ungezügelte Tochter Katharine nie ausstehen konnte, so muss sich doch zwangsläufig jemand um sie kümmern, bis sie erwachsen ist. Deshalb habe ich Risen Glory Dir vermacht, in der Hoffnung, dass Du die Vormundschaft für das Mädchen übernimmst. Mag sein, dass Du ablehnst. Die Plantage war zwar früher die einträglichste in dieser Gegend, aber der Krieg hat seinen Tribut gefordert.
Wie auch immer Du dich entscheidest, ich habe meiner Pflicht genügt.
Deine Mutter,
Rosemary Weston
Das war alles – nach sechzehn Jahren.
Kit kniete vor dem offenen Scheunenfenster und starrte zu dem dunklen Wohnhaus hinüber. Die Glocke der nahe gelegenen Methodistenkirche läutete zwei Mal. Baron Cain würde den Sonnenaufgang nicht mehr erleben.
Die drückende, elektrisierende Luft kündigte ein Unwetter an, und trotz der Wärme in ihrem Zimmer fröstelte sie. Sie verabscheute Gewitter, vor allem nachts. Hätte sie
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