Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
Mahagonitüren in das private Anwaltsbüro strebte. Das also war der Held vom Missionary Ridge, der Mann, der den reichsten New Yorker Bankern das Geld aus der Tasche zog. Und erlesen gekleidet, das musste man ihm neidlos zugestehen. Die feine Nadelstreifenweste über der dunkel gemusterten Krawatte war konservativ-gediegen, der perlgraue Überzieher bestimmt Maßarbeit. Trotzdem hatte er etwas von einem Lebemann an sich. Sein Ruf war nicht der beste, und sobald er den Raum betrat, gewann man das Gefühl, von seiner Präsenz erdrückt zu werden.
Der Jurist umrundete den Schreibtisch und reichte ihm
die Hand. »Angenehm, Sie kennen zu lernen, Mr. Cain. Ich bin Hamilton Woodward.«
»Mr. Woodward.« Während sie sich die Hände schüttelten, machte Cain seine eigene Bestandsaufnahme. Sein Gegenüber war mittleren Alters und korpulent. Ein kompetenter Wichtigtuer. Und vermutlich ein lausiger Pokerspieler.
Woodward deutete auf einen Ledersessel vor seinem Schreibtisch. »Verzeihen Sie, dass ich Sie so kurzfristig herbitten musste, aber die Sache geriet bedauerlicherweise etwas in Verzug und duldet keinen Aufschub mehr. Wohlgemerkt nicht durch ein Versehen meinerseits, darf ich hinzufügen. Ich erfuhr selber erst gestern davon. Ich versichere Ihnen, unsere Firma arbeitet für gewöhnlich überaus effizient. Und bei einem Mann wie Ihnen, dem wir so viel zu verdanken haben…
»In Ihrem Brief stand lediglich, dass Sie etwas äußerst Wichtiges mit mir besprechen möchten«, warf Cain ein. Er hatte eine natürliche Antipathie gegen Menschen, die seine Kriegsverdienste unbedingt an die große Glocke hängen mussten.
Woodward schob sich umständlich die Bügel einer Nickelbrille über die Ohren. »Sie sind also der Sohn von Rosemary Simpson Cain – der späteren Rosemary Weston?«
Cain hatte keinerlei Probleme, beim Pokern eine unbewegte Miene aufzusetzen, doch konnte er die widerwärtigen Emotionen kaum verbergen, die bei diesem Namen spontan in ihm aufwallten. »Ich wusste nicht, dass sie wieder geheiratet hat, aber ja, das ist der Name meiner Mutter.«
»War ihr Name, meinen Sie?« Woodward blickte von dem Dokument auf.
»Ist sie tot?«, meinte Cain ohne jede Regung.
Die feisten Wangen des Notars wackelten bedenklich. »Verzeihen Sie vielmals, ich ging davon aus, Sie seien informiert. Sie starb vor etwa vier Monaten. Meine herzliche Anteilnahme. Tut mir leid, dass ich Ihnen die Nachricht nicht schonender beigebracht habe.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich habe meine Mutter seit meinem elften Lebensjahr nicht mehr gesehen. Ihr Tod trifft mich nicht sonderlich.«
Woodward wühlte in den vor ihm liegenden Papieren. Es irritierte ihn, dass sein Mandant dermaßen unterkühlt auf den Tod der eigenen Mutter reagierte. »Ich, ähm, habe einen Brief für Sie von einem Notar aus Charleston, einem W. D. Ritter. Er verwaltet das Vermögen Ihrer Mutter.« Er räusperte sich. »Mr. Ritter bat mich, den Kontakt mit Ihnen aufzunehmen und Sie über das Testament der Verstorbenen in Kenntnis zu setzen.«
»Kein Interesse.«
»Nun ja, das bleibt abzuwarten. Vor zehn Jahren heiratete Ihre Mutter einen gewissen Garrett Weston. Er war der Besitzer von Risen Glory, einer Baumwollplantage in der Nähe von Charleston. Als er in Shiloh fiel, vermachte er die Plantage Ihrer Mutter. Vor vier Monaten starb sie an den Folgen einer Influenza. Nach meinen Informationen hat sie die Plantage Ihnen vererbt.«
Cain machte keinen Hehl aus seiner Verblüffung. »Ich hatte meine Mutter sechzehn lange Jahre nicht gesehen. Wieso sollte sie mir etwas vererben?«
»Wie gesagt, Mr. Ritter übergab mir einen Brief an Sie, den Ihre Mutter kurz vor ihrem Tod abfasste. Vielleicht erklärt das ihre Motive.« Woodward zog ein versiegeltes Kuvert aus der Mappe vor sich und schob es über den Schreibtisch.
Cain steckte den Brief ungelesen in die Jacketttasche. »Was wissen Sie über die Plantage?«
»Vor dem Krieg war sie offenbar sehr einträglich. Man müsste wohl etwas Arbeit investieren, um die Geschäfte wieder in Schwung zu bringen. Allerdings umfasst das Vermächtnis keinerlei Geldvermögen. Und dann wäre da noch die Sache mit Westons Tochter Katharine Louise.«
Diesmal machte Cain kein Hehl aus seiner Verblüffung. »Wollen Sie damit sagen, dass ich eine Halbschwester habe?«
»Nein, nein. Eine Stiefschwester. Sie sind nicht blutsverwandt. Das Mädchen ist Westons Tochter aus erster Ehe. Trotzdem kommen da gewisse Verpflichtungen
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