Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
Scham brannten ihr in den Augen. Sollte sie kampflos aufgeben? Risen Glory in den Wind schreiben? Nur weil sie ein Angsthase und ein schwächliches Mädchen war und nicht in das Haus hineinkam?
Plötzlich streifte etwas an ihren Beinen entlang, und sie
fuhr unwillkürlich hoch. Merlin spähte mit schief gelegtem Kopf zu ihr herauf. Sie sank auf die Knie, vergrub den Kopf in seinem feuchten, streng riechenden Fell. »Du nichtsnutziger Stromer…« Zitternd zog sie Merlin an sich. »Aber tröste dich, ich bin genauso nutzlos wie du.«
Seine raue Zunge leckte über ihre Wange. Wieder blitzte es. Merlin heulte jammervoll, und Kit sprang mit einer Mischung aus Entsetzen und Entschlossenheit auf. Risen Glory gehörte rechtmäßig ihr! Wenn sie nicht durch ein Fenster in Cains Haus kam, dann eben durch die Tür!
Mit dem Mut der Verzweiflung kämpfte sie sich durch die Regenmassen zum Hintereingang. Dabei hörte sie nicht auf die zaghafte innere Stimme, die ihr riet, die Sache zu verschieben und es an einem anderen Tag wieder zu versuchen. Sie warf sich gegen die Dienstbotentür, und als diese nicht aufsprang, trommelte sie wie wild dagegen.
Ärger und Angst trieben ihr die Tränen in die Augen. »Lassen Sie mich rein! Lassen Sie mich sofort rein, Sie arroganter Yankee!«
Keine Reaktion.
Ein Blitzstrahl zuckte vom Himmel direkt in den Ahorn, der ihr eben noch Schutz geboten hatte. Kit kreischte auf und warf sich erneut gegen die Tür.
Direkt in die Arme von Baron Cain.
»Was zum Teufel…«
Sein Oberkörper war nackt, und die Glut seiner Haut drang durch ihr klammes, kaltes Hemd. Am liebsten hätte sie sich an ihn gekuschelt und sich an ihm gewärmt.
»Was ist denn los, Kit?« Er packte sie bei den Schultern. »Ist irgendwas passiert?«
Sie schrak zurück. Dummerweise stand Merlin hinter ihr. Sie stolperte über den Hund und fiel der Länge nach auf die Küchendielen.
Cain musterte das Nervenbündel am Boden. Seine
Mundwinkel zuckten. »Schätze mal, du hast Angst vor Gewittern, was?«
Ach, scheren Sie sich doch zum Teufel , wollte sie zähneklappernd erwidern, verkniff es sich aber gerade noch. Zudem war sie unsanft auf dem Revolver in ihrem Hosenbund gelandet. Ihre Hüfte schmerzte höllisch.
Cain trat über sie hinweg und schloss die Tür. In diesem Moment schüttelte sich Merlin.
»Undankbares Vieh.« Cain riss ein Handtuch vom Küchenhaken und rubbelte ihn trocken.
Grundgütiger, sobald sie aufstand, würde er die Pistole bemerken! Während Cain mit dem Hund beschäftigt war, zog sie die Waffe heimlich aus dem Hosenbund und versteckte sie hinter einem Korb mit Äpfeln, der neben der Hintertür stand.
»Ich weiß nicht, wer von euch beiden mehr Angst hat«, grummelte Cain, als Merlin leicht geduckt durch den Flur in Magnus’ Zimmer trottete, »aber ihr hättet ruhig bis morgen früh damit warten können.«
»Ich hab doch keine Angst vor dem bisschen Regen«, versetzte Kit schnippisch.
In diesem Augenblick ließ ein weiterer Donner die Luft erzittern. Sie sprang auf und wurde kreidebleich.
»Dann hab ich mich wohl getäuscht«, meinte er trocken.
»Nur weil ich…« Sie brach ab und schluckte betreten, als sie ihn genauer betrachtete.
Er trug lediglich eine verwaschene Hose, die ihm locker auf den Hüften saß. In seiner Eile, zur Tür zu kommen, hatte er die oberen beiden Knöpfe offen gelassen. Natürlich hatte sie in ihrem Leben schon Männer mit entblößtem Oberkörper gesehen, bei der Arbeit auf den Feldern oder in der Sägemühle. Aber da hatte sie nie genauer hingeschaut.
Seine muskulöse Brust war leicht beharrt. Über eine Schulter zog sich eine breite Narbe, eine weitere stach unter dem nachlässig geknöpften Hosenbund hervor. Er hatte schmale Hüften und einen flachen Waschbrettbauch, über den eine feine, dunkelblonde Haarlinie verlief. Automatisch glitt ihr Blick tiefer und verharrte seltsam fasziniert auf dem Schritt seiner Hose.
»Trockne dich ab.«
Als sie den Kopf hob, musterte er sie forschend und warf ihr ein Handtuch zu. Sie stopfte es umständlich unter den Hutrand, um ihre Wangen abzutrocknen.
»Wäre einfacher, wenn du den Hut absetzt.«
»Ich will ihn aber nicht absetzen«, versetzte sie ohne Umschweife. »Ich mag meinen Hut.«
Mit einem gereizten Seufzer strebte er in Richtung Flur und kehrte mit einer Decke zurück. »Zieh die nassen Sachen aus. Hier, leg das um.«
Sie starrte von der Wolldecke zu ihm. »Von wegen, ich zieh mich doch hier nicht aus!«
Cain
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