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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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meine Ansicht über diese Scheußlichkeit zu teilen scheinen,
könnten wir doch Irenes Spiel mitspielen und sehen, was dabei
herauskommt.«
Mit einem geräuschvollen Scheppern blieb die Kabine
stehen. Caroline langte nach dem Türgriff, doch ehe sie ihn
aufziehen konnte, hatte Tony seine Hand auf die ihre gelegt.
»Nun, was meinen Sie?«, fragte er. »Soll ich mich gleich
wieder empfehlen, oder essen wir zusammen zu Abend?«
»Abendessen«, hörte Caroline sich sagen und spürte die
Wärme seiner Hand auf der ihren. Doch eine Sekunde später
revidierte sie ihre Antwort: »Ach, du meine Güte, was rede ich
da? Ich kann mit Ihnen nicht essen gehen – meine Kinder
warten zu Hause auf mich.«
»Essen die gern chinesisch?«
Caroline starrte ihn verdutzt an. »Sie machen Witze. Sie
wollen mich und meine Kinder zum Essen ausführen?«
Tony Fleming zuckte die Achseln. »Ich mag Kinder.«
»Na, warten wir ab, ob Sie sie auch nach dem Essen noch
mögen.«
Gemeinsam schleppten sie die Vase aus dem Fahrstuhl und
den Flur entlang vor Irenes Wohnungstür, die sich augenblicklich öffnete. Irene, angetan mit einem bodenlangen Kleid
und das graue Haar zu einer eleganten Rolle geschlungen, hielt
sie weit auf. »Auf die Minute«, stellte sie fest. »Ich schätze
Pünktlichkeit. Kommen Sie herein, alle beide!«
Sie drehte sich um und schwebte ihnen voraus durch die
Diele in einen riesigen Salon. Anscheinend erwartete sie, dass
Caroline und Tony ihr folgten. Tony trug die Vase hinein und
flüsterte Caroline im Vorbeigehen zu: »Tun Sie so, als ob Sie
mich entsetzlich finden. Das wird sie verrückt machen.«
Doch obwohl sie erst fünf Minuten mit Tony Fleming
verbracht hatte, wusste Caroline, dass es ihr gänzlich
unmöglich sein würde, dieses Spiel mitzuspielen.

8. Kapitel
    Das war ein Fehler, dachte Caroline, als sie am nächsten Tag
durch die Tür von Harry Ciprianis Restaurant trat. Aber es war
zu spät – Beverly Amondson und Rochelle Newman waren
bereits da und saßen nebeneinander auf einer gepolsterten
Bank, von wo aus sie das ganze Lokal überblicken konnten.
Während Caroline kurz mit dem Gedanken spielte, schnell
durch die Tür zu schlüpfen, die Fifth Avenue hinunterzulaufen
und um die Ecke der 60. Straße zu verschwinden, wusste sie,
dass sie keine Chance hatte: Rochelle winkte ihr schon zu. Als
sie sich dem Tisch näherte, beugten sich die beiden Frauen vor
und reckten die Gesichter in die Höhe, um diese Luftküsschen
auszutauschen, die Zuneigung demonstrieren sollten, ohne das
Make-up zu ruinieren. Kaum saß Caroline, griff Beverly über
den Tisch und nahm Carolines Hand.
    »Wie geht
es dir?«, fragte Bev. Sie sah Caroline in die
Augen, und ihre Miene arrangierte sich zu einem Ausdruck,
der, wie Caroline vermutete, echtes Mitgefühl ausdrücken
sollte. »Ehrlich?«
    Wenn du mich in den letzten drei Monaten einmal angerufen
hättest, wüsstest du es, dachte Caroline bei sich. Warum hatte
sie sich überhaupt auf dieses Mittagessen eingelassen? Sie sah
sich in dem Lokal um. Die meisten Tische waren von
Geschäftsleuten der einen oder anderen Art besetzt, die die
enormen Kosten des exklusiven Mahles von ihrem Spesenkonto zahlen würden. Drei Tische jedoch auch von Frauen, die
für Carolines Empfinden genauso aussahen wie Bev und
Rochelle, und deren betont schlichte, aber perfekt maßgeschneiderte Garderobe den anderen Frauen zu verstehen gab,
dass in der Welt, die ihre jeweiligen Gatten bezahlten, alles
zum Besten stand. Bleib fair, schalt sich Caroline. Bev und
Rochelle waren seit Jahren ihre besten Freundinnen, und es
waren ihre eigenen Lebensumstände, die sich verändert hatten,
nicht die der anderen. Überdies sahen die Dinge, verglichen
mit Samstag, als sie diesem Mittagessen zugestimmt hatte,
plötzlich entschieden besser aus.
    »Ehrlich gesagt beginne ich zu glauben, dass ich überleben
werde«, antwortete sie, gerade als Andrea Costanza das Lokal
durchquerte und auf dem Stuhl Platz nahm, den der Maitre für
die zurückgeschoben hatte. »Wenn mich der Gerichtsvollzieher
noch ein paar Monate verschont, schaffe ich es. Ihr glaubt ja
gar nicht, was mir passiert ist!« Indem sie verschwörerisch die
Stimme senkte und sich vorbeugte, begann Caroline ihren
Freundinnen zu erzählen, was seit Samstagvormittag, als sie
Irene Delamond im Park kennen gelernt hatte, bis zum
vergangenen Abend, als Tony Fleming sie und die Kinder zum
Chinesen eingeladen hatte, alles

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