Mitternachtsstimmen
Halbschlaf gefallen. Sie
wusste, dass sie nicht richtig schlief, aber auch nicht richtig
wach war. Nicht richtig wach war immerhin besser als die
vergangenen Stunden, als sie sich unablässig von einer Seite
auf die andere gedreht, die Decke weggestrampelt und wieder
hinaufgezogen, das Licht angedreht hatte, um zu lesen, und es
wieder abgedreht hatte, den Thermostaten gesucht hatte, um
die Heizung kühler zu stellen, dann versucht hatte, das Fenster
zu öffnen und anschließend mit der Gewissheit wieder ins Bett
gekrochen war, dass sie die ganze Nacht in diesem Zimmer
wach liegen würde, das so groß war, dass es eigentlich nicht
voll gestellt hätte wirken dürfen, doch in dem es ihr immer
schwerer fiel, zu atmen, und erst recht einzuschlafen. Bei ihrem
letzten Blick auf den Wecker – einem kleinen Reisewecker in
einem goldfarbenen Gehäuse, den Tony ihr für den Urlaub in
Mustique geschenkt hatte – war es halb zwölf gewesen. Seither
war die Zeit so langsam dahingekrochen, dass sie fest damit
rechnete, den Morgen herandämmern zu sehen, ehe sie
überhaupt eingeschlafen war. Doch schließlich hatte sich eine
gnädige Mattigkeit über sie gelegt, und als sie zum ersten Mal
diese undeutlichen Geräusche in der Dunkelheit vernahm,
glaubte sie, geträumt zu haben.
Aber einen Moment später, als sie ganz deutlich ein Lachen
hörte, da wusste sie, dass sie nicht schlief.
Sie streckte die Hand aus und drückte den großen Knopf
oben auf dem Wecker, überzeugt, dass es schon auf die vier
Uhr morgens zuging. Doch die schwarzen Zeiger auf dem
leuchtend grünen Zifferblatt zeigten an, dass es erst kurz nach
Mitternacht war.
Konnte es tatsächlich möglich sein, dass die Zeit so langsam
verging? Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, dass sie das letzte
Mal auf die Uhr geschaut hatte – und doch war seither nur eine
halbe Stunde vergangen. Seufzend stellte sie das Licht an dem
Wecker wieder aus.
Dann hörte sie es wieder.
Gelächter, undeutlich und gedämpft.
Angst durchfuhr sie. Aber wovor sollte sie sich fürchten? An
Gelächter war doch nichts Angsteinflößendes. Nicht so, als
hätte sie einen Schrei, ein Schluchzen oder ein wirklich
gruseliges Geräusch wie ein Ächzen gehört. Doch noch
während sie versuchte, die plötzliche Angst abzuschütteln, fiel
ihr wieder ein, wie sie und Amber Blaisdall, damals waren sie
sieben oder acht Jahre alt, auf der anderen Straßenseite
gegenüber dem Rockwell gestanden und die Ohren gespitzt
hatten, als eines der älteren Kinder ihnen von all den gruseligen
Dingen erzählte, die sich angeblich in diesem alten Gemäuer
zutrugen.
Grässliche Geschichten von Geistern und Monstern und
Trollen und Hexen und Menschen fressenden Ungeheuern.
Schon damals hatte sie gewusst, dass diese Horrorgeschichten
erfunden waren, dass Geister, Monster, Trolle, Hexen und
Menschen fressende Ungeheuer nicht existierten. »Das sind nur
Geschichten«, hatte ihr Vater erklärt, als er ihr das erste Mal
das Märchen von »Hänsel und Gretel« vorgelesen hatte. »Es
gibt keine Hexen.« Und dennoch hatte sie danach schlecht
geträumt.
Und jetzt, als sie im Dunkeln lag, tauchten all diese
Geschichten wieder auf.
Aber es sind einfach nur Geschichten, sagte sich Laurie. Was
ich da gehört habe, waren nur Leute unten auf der Straße.
Wie um sich zu beweisen, dass es nichts gab, wovor sie
Angst haben musste, stand sie auf und ging ans Fenster, um
hinunterzuspähen. Ein paar Autos fuhren die Straße auf und ab,
zumeist Taxis mit optimistisch erhellten Leuchtschildern auf
dem Dach. Die Nacht war so lau, dass die wenigen Menschen,
die noch unterwegs waren, gern zu Fuß gingen. Doch dort am
Fenster war von dem Gelächter nichts mehr zu hören, und auch
als sie noch ein paar Minuten stehen blieb, hörte sie nichts.
Schließlich kroch sie wieder in ihr Bett, lag im Dunkeln,
wartete.
Auf den Schlaf?
Oder darauf, dass das Geräusch zurückkehrte?
Dann, gerade als sie abermals am Einschlafen war, passierte
es.
Diesmal war es kein Lachen.
Diesmal war es eher ein schniefender Laut!
Und geflüsterte Worte: »Sch! Du wirst die Toten
aufwecken!«
Ein Kichern, das so schnell verhallte, wie es erklungen war.
Dann mehr Schniefen und mehr Geflüster, jedoch so leise, dass
sie kein Wort davon verstehen konnte. Aber es klang, als käme
es von der anderen Seite der Schlafzimmerwand.
Abermals verließ sie ihr Bett und drückte das Ohr an die
Wand.
Lauter!
Das Zimmer nebenan? Jetzt raste
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