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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfie Ligensa
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denn als sie sich noch einmal nach dem Mann umblickte, sah er ihr mit einem unverbindlichen Lächeln nach.
    Im vierten Stock des Hotels, das zur Südseite hin einen Blick auf das Grieg-Haus gewährte, besaß Jonas Fredriksen eine Wohnung, die durch eine Wendeltreppe mit einem darüber liegenden Maisonettebereich verbunden war. Nur drei Räume befanden sich hier oben – ein geräumiges Schlafzimmer, an das sich ein Bad anschloss, eine Küche und ein Wintergarten, der eine fantastische Aussicht bot. Weit dehnten sich die grünen Hügel bis hinunter zum Fjord. Dort, in einem Felsengrab, lagen Edvard Grieg und seine Frau Nina begraben. Bei ihrem ersten Besuch hier war Andrea, so wie viele Touristen, dorthin gegangen und hatte an dem Gedenkstein eine kurze Andacht gehalten.
    Sie wollte gerade an Jonas’ Wohnungstür läuten, als sie sah, dass die Tür nur angelehnt war. Sicher war Jonas für einen Moment nach oben gegangen, um etwas zu holen. Es war schon recht praktisch, wenn man gleich über dem Arbeitsplatz wohnte.
    Sie lächelte und trat ein. Die fast rechteckige Diele war mit hellen Ahorndielen ausgelegt. Links befand sich ein ebenfalls aus Ahorn gefertigter Einbauschrank, rechts stand eine bunt bemalte kleine Truhe, über der zwei rechteckige Lampen hingen. Geradeaus ging es zum großen Wintergarten, rechts zur Küche, die jedoch kaum benutzt wurde. Der Hotelier aß meist mit seinen Leuten zusammen. Jonas legte Wert darauf, dass auch das Essen für die Hotelangestellten gut und reichhaltig war.
    »Jonas?«
    Keine Antwort. Dabei war Andrea sicher, Geräusche gehört zu haben.
    Langsam, zögernd stieg sie die helle Holztreppe hinauf – und glaubte im nächsten Moment, einen Schlag in die Magengrube bekommen zu haben. Das war ein schlechter Film, in den sie da hineingeraten war! So etwas passierte vielleicht in billigen Soaps, doch nicht ihr, nicht im wirklichen Leben.
    Aber das Bild blieb: Jonas lag nackt mit einem langbeinigen, blutjungen Mädchen auf seinem Bett, über das eine rotbraune Fuchsfell-Decke gebreitet war. Die beiden waren so intensiv miteinander beschäftigt, dass sie Andrea nicht bemerkten. Neben dem Bett stand ein weißer Barwagen, darauf ein Champagnerkübel, zwei Gläser, eine Silbervase mit einer Rose – das übliche Szenario einer routinierten Verführung, schoss es Andrea durch den Kopf. Bei ihren ersten beiden Besuchen war auch sie von Jonas mit Champagner, frischen Erdbeeren und roten Rosen begrüßt worden. Sie hatte es romantisch gefunden und erinnerte sich jetzt noch genau daran, wie ausgiebig und leidenschaftlich Jonas und sie das Wiedersehen gefeiert hatten.
    War das wirklich erst ein halbes Jahr her?
    Andrea biss sich auf die Lippe, bis sie Blut schmeckte. Nur nicht schreien jetzt. Nur nicht nach der bauchigen Tonvase greifen, die auf einem Sideboard links von der Tür stand und geradezu dazu einlud, nach Jonas geschleudert zu werden. Nur nicht weinen …
    Nur weg! Fort aus dem Haus, so weit weg wie möglich von Jonas!
    Wie blind rannte sie die Treppen und dann den Hang hinunter, stolperte zweimal über kleine Steinbrocken, die von Grasbüscheln verdeckt waren, rannte an Touristen vorbei, die das Grieg-Haus Troldhaugen und die Grabstätte des Komponisten besichtigen wollten.
    Die irritierten, teils mitleidigen, teils verständnislosen Blicke, die ihr folgten, bemerkte sie nicht. Erst als sie Seitenstechen bekam und nach Luft ringend am Straßenrand stehen bleiben musste, kam sie wieder zu sich. Die Enttäuschung wich Wut, aus Trauer wurde gerechter Zorn.
    »Scheißkerl!«, schimpfte sie laut vor sich hin. »Verdammter Scheißkerl!«
    »Junge Frau … wollen Sie zurück in die Stadt?« Der bärtige Taxifahrer, der sie hergebracht hatte, stand plötzlich neben ihr. Die dicke Nase leuchtete blaurot, doch seine Augen waren voller Wärme auf Andrea gerichtet. »Ich fahre zum Hafen. Zur Anlegestelle der Hurtigruten.« Er strich sich über den Bart und sah sie erwartungsvoll an. »Na, wäre das nichts für Sie, so eine Fahrt mit dem Postschiff? Die Reise würde Sie auf andere Gedanken bringen.«
    Als sie nicht antwortete, sagte er: »Warten Sie hier. Ich hole Ihr Gepäck.«
    »Ja, aber …« Sie schüttelte den Kopf. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie ihren Koffer und die Arzttasche im Hotel gelassen hatte.
    Der Alte reagierte nicht, er wendete das Taxi, fuhr zurück zum Hotel – und war knappe fünf Minuten später wieder bei ihr. Andrea war langsam, mit gesenktem Kopf, weitergegangen.

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