Mittsommerzauber
Art an, die über schlichte Sym-
pathie hinausging. Wenn er so nahe bei ihr stand wie jetzt, schien die Luft um sie herum förmlich aufgeladen mit erotischer Spannung.
»Und sie?«, fragte sie leichthin. »Wollen Sie wirklich hierher zurück? Ich muss Sie warnen. Sie werden keinen Schritt mehr tun können, ohne dass jeder darüber Bescheid weiß.« Sie hielt inne und betrachtete ihn abwägend. »Hoffentlich haben Sie ein geregeltes Familienleben.« Er schien einen Moment zu zögern, bevor er antwortete. »Schon. Aber wen geht das etwas an?«
»Hier im Ort? Alle.« Sie lachte ein wenig gezwungen, wobei sie nicht wusste, ob ihr Unbehagen daher rührte, dass er vermutlich gebunden war, oder ob es eher daran lag, dass es bei ihr selbst keinen Deut anders war.
»Wir sind sozusagen eine große Familie«, fuhr sie mit leisem Spott in der Stimme fort. »Ich kann nur sagen: herzlich willkommen! Erzählen Sie uns alles von sich! Und wenn nicht - macht nichts! Wir kriegen es sowieso raus!« Robert grinste breit, und sie musste ebenfalls lachen. »Mache ich Ihnen Angst?«, fragte sie kichernd. »Keine Sorge, hier sind nicht alle so neugierig. Vor Ihnen steht eine löbliche Ausnahme.«
Er sah sie an und hielt ihren Blick fest. »Schade. Ich hätte Ihnen gern alles über mich erzählt. Um Sie dann anschließend nach Strich und Faden über Ihr eigenes Leben auszufragen.«
Sie lachten beide, und danach standen sie einfach schweigend nebeneinander und schauten hinaus aufs Wasser, bis Robert plötzlich die Nase hob und schnuppernd Luft holte.
»Was ist denn das für ein Duft?«, wollte er wissen.
»Geißblatt.« Sie zeigte an ihm vorbei in Richtung Park. »Da drüben stehen ein paar Büsche.« Sie ging hinüber zu
den Hecken. »Ich liebe es! Es duftet am stärksten in der Nacht. Für mich gehört es zum Sommer wie für andere die Rosen.« Sie blieb stehen und schob ihre Nase in einen Strauch, um tief den Duft einzuatmen.
»Ich verstehe, was Sie meinen. So könnte der Sommer riechen.« Robert war ihr gefolgt und streckte den Arm aus, um eine Blüte zu pflücken, doch sie griff nach seiner Hand, um ihn daran zu hindern. »Nicht. Sie sind zwar schön, aber auch giftig.«
Er schaute auf ihre Hand, die seine festhielt.
»Diesmal haben Szemich gerettet«, sagte er.
Sie spürte ihren Puls rasen und zählte sieben magische Sekunden lang, bevor sie ihre Hand von seiner nahm und ruckartig Luft holte, um ihre beängstigende Atemlosigkeit in den Griff zu bekommen.
Sie fingen beide gleichzeitig an zu reden.
»Wieso sind Sie...«
»Warum wollen Sie...«
»Sie zuerst«, sagte Robert.
»Nein, Sie. Sie sind der Gast hier.«
»Na gut. Ich wollte wissen, warum Sie von hier wegmöchten.«
»Und ich wollte wissen, was Sie hierher zieht. Aufs Land.«
Sie schauten einander in die Augen, und Anna spürte erneut seine bezwingende Aura.
Was passiert mit mir?, dachte sie verstört.
Mit gespielter Munterkeit sagte sie: »Vielleicht reden wir besser morgen weiter. Ich glaube, ich gehe jetzt zu Bett. Leider muss ich früh wieder raus.«
»Sie haben Recht, es ist spät geworden.«
Anna hörte in seinem gelassenen Tonfall eine Spur Enttäuschung mitschwingen. Eilig wünschte sie ihm eine gute
Nacht und ging zurück ins Haus. Als sie später im Bett lag und ins Zwielicht des Zimmers starrte, verbannte sie jeden weiteren Gedanken an siebenfach im Wasser blitzende Steine oder den Duft von Geißblatt. Dennoch dauerte es lange, bis sie einschlafen konnte.
*
»Ich muss sagen, Sie haben da wirklich ein schönes kleines Werk«, sagte Robert, während er an Silvia Blomquists Seite aus der Halle ins Freie trat.
»Ja«, entgegnete sie bereitwillig. »Jedenfalls, wenn alles gut läuft. Wie zum Beispiel die zweite Säge...«
Sie sprach es offen an, aber es war dennoch ein Punkt, mit dem Robert seine Schwierigkeiten hatte. Wenn eine Säge ausfiel, konnte sie ersetzt werden, doch auf seine diesbezüglichen Fragen hatte sie ausweichend reagiert und gemurmelt, dass ihr Sohn sich bereits darum gekümmert hätte.
Soweit Robert die Sachlage beurteilen konnte, lag hier einiges im Argen, und seiner Meinung nach verteilte sich die Schuld an der Misere gleichmäßig auf Silvia und ihren Sohn. Er hatte vorhin ungestört mit einem der Arbeiter gesprochen und ihm beiläufig diverse Informationen aus der Nase gezogen. Nach dem Tod ihres Mannes vor vier Jahren hatten Silvia und Harald sich die Geschäftsführung geteilt, doch auf lange Sicht war geplant, dass
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