Mittsommerzauber
ein neuer Großkunde gewesen, hätte seine Mutter ihm sicher davon erzählt. Obwohl - in der letzten Zeit tat sie hin und wieder Dinge, die ihm das Gefühl gaben, absolut unwichtig zu sein. Harald fand, dass sie teilweise überreagierte, was sein Verhalten betraf. Sicher, jetzt war die Sache mit dem blöden Motor passiert und davor auch noch so dies und das. Aber das waren - von der Säge abgesehen -durchweg lauter Kleinigkeiten gewesen. Außerdem konnte er nicht hexen, auch wenn sie das manchmal zu erwarten schien.
»Schön, dass ich euch beide treffe«, sagte Silvia. »Da kann ich euch ja gleich Robert Dahlström vorstellen.«
Mit einer Mischung aus Argwohn und Erstaunen sah Harald, wie seine Schwester zu dem Typ herumfuhr und ihn mit großen Augen anstarrte. Es war nicht zu übersehen, dass die beiden sich bereits kannten.
»Robert, das sind meine Tochter Anna und mein Sohn Harald.«
Missmutig registrierte Harald, dass er an zweiter Stelle genannt wurde. Außerdem nahm dieser Robert ihn überhaupt nicht wahr, sondern hatte nur Augen für Anna. Auf seinem Gesicht war förmlich die Sonne aufgegangen bei ihrem Anblick.
»Schön, Sie zu sehen, Anna«, sagte er. »Wie war’s denn in Stockholm?«
»Großartig«, sagte Anna. Hastig fügte sie hinzu: »Ich... Ähm, ich habe den Stoff für die Vorhänge dann aber doch nicht genommen. Die Farbe war mir zu...« Sie brach ab.
»Zu grell?«, sprang Robert ein.
»Genau. Einfach zu grell für Vorhänge.«
Verständnislos verfolgte Harald diesen Dialog und fragte sich, ob er noch richtig tickte oder ob es die beiden waren, die eine Schraube locker hatten. Immerhin schaute seine Mutter ebenfalls ein wenig befremdet drein, was ihm ein tröstliches Gefühl von Normalität vermittelte.
»Wieso Vorhänge?«, fragte Silvia. »Du warst wegen Vorhängen in Stockholm?«
»Ich wollte neue Gardinen für mein Zimmer. Aber wie gesagt, es hat sich erledigt.«
»Na gut, wenn das nun klar ist, möchte ich euch endlich mit Robert Dahlström bekannt machen. Er interessiert sich für die Stelle eines Geschäftsführers bei uns.«
Harald zuckte wie von einem Keulenschlag getroffen zusammen. Ihm war schwindlig, und Übelkeit bohrte sich in seine Eingeweide wie eine harte Faust.
»Ach«, sagte er mit gepresster Stimme, »wir suchen einen neuen Geschäftsführer?«
Die Augen seiner Mutter waren kalt, doch Harald erkannte in ihrem Blick auch eine Spur von Mitgefühl. Er verfluchte sie innerlich mit allen ihm zu Gebote stehenden gotteslästerlichen Ausdrücken. Mitleid gepaart mit Abneigung, wenn das nicht genau das war, was er jetzt am dringendsten brauchte!
Am liebsten hätte er sich auf dem Absatz herumgedreht und sie mitsamt diesem Dahlström stehen lassen. Doch diese Blöße würde er sich nicht geben. Er hatte soeben eine Niederlage erlitten, aber besiegt war er noch lange nicht.
*
Robert machte der Köchin ein Kompliment zu dem Heringssalat 9 , der ihm wirklich ausnehmend gut geschmeckt hatte, und das, obwohl seine ganzen Sinne auf die Frau fokussiert waren, die zu seiner Rechten saß. Er hatte es vorhin kaum fassen können, dass er sie ausgerechnet hier Wiedersehen würde. Sicher, da war die Namensgleichheit, aber vermutlich hießen ein Dutzend weitere Leute hier im Ort ebenfalls Blomquist, sodass er sich darüber nicht groß Gedanken gemacht hatte. Nun saß er neben ihr beim
Abendessen und war sich ihrer Gegenwart so überdeutlich bewusst, dass er sich kaum noch auf die bei Tisch geführte Unterhaltung konzentrieren konnte.
»Robert hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich«, sagte Silvia gerade. »Aufgewachsen in Värmland, Studium in Toronto...«
»Holzwirtschaft?«, fragte Anna.
Robert nickte. »Und Wirtschaftswissenschaften und ein bisschen Geschichte.« Es war ihm ein wenig peinlich, dass sein beruflicher Werdegang vor der ganzen Familie ausgebreitet wurde. Die Blicke, mit denen Blomquist junior ihn die ganze Zeit über bedachte, reichten aus, die Atmosphäre um einiges abzukühlen. Robert war nicht entgangen, dass Harald nichts von der Stellenausschreibung gewusst hatte, und ihm war sofort klar gewesen, dass seine neue Arbeitgeberin ihre eigene Taktik verfolgte, mit der sie ihren Sohn offenbar kalt erwischt hatte. Ob Harald sich selbst für den Job interessierte?
»Anschließend hat er ein paar Jahre in Kanada gearbeitet, als Geschäftsführer bei Hartwood Inc.«, fuhr Silvia fort, und Robert kam es so vor, als richteten sich ihre Worte speziell an ihren Sohn.
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