Mittsommerzauber
»Und jetzt ist er wieder auf dem Weg zurück in die Heimat.« Bei dieser letzten Äußerung lächelte sie Robert an, bevor sie langsam hinzufügte: »Und wenn wir Glück haben, landet er hier bei uns.«
»Sie wollen wirklich zurück in die Provinz?«, fragte Anna ihn.
Er erwiderte ihren Blick und sah, dass die Iris ihrer Augen einen seltenen Türkiston aufwies, wie ein klarer Bergsee in der Sonne. »Ich könnte es mir vorstellen.« Er unterdrückte das schwache Unbehagen, das ihn bei seiner Antwort überkam, und er rechtfertigte sich innerlich damit, dass es ja keine direkte Lüge war. Doch was den weiteren Verlauf der Unterhaltung betraf, so würde er sich vorsehen müssen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er gleich von Anfang an derart in die Familie einbezogen werden würde, und schon gar nicht hatte er erwartet, dass ausgerechnet sie dabei sein und ihm Fragen stellen würde.
»Komisch«, sagte sie. »Ich finde eher, Sie sehen aus wie ein Geschäftsmann, der in die Großstadt gehört.«
Robert wollte widersprechen, doch er ahnte, dass er sich damit womöglich aufs Glatteis begeben würde. Dieser Gefahr wurde er zum Glück enthoben, weil im nächsten Augenblick ein weiterer Besucher auf der Bildfläche erschien.
Bertil kam quer durch den Garten auf die Terrasse zu und winkte fröhlich. Roberts Blicke wechselten zwischen Anna und ihrem Verlobten hin und her. Er spürte, dass sie nicht gerade überschwänglich auf Bertils unerwartetes Auftauchen reagierte, und er empfand deswegen eine derartige Befriedigung, dass er sich selbst albern deswegen vorkam.
»Hallo«, rief Bertil. »Ich hoffe, ich störe nicht!« Er trat neben Annas Stuhl und küsste sie auf den Scheitel. »Hej, Liebling! Alles in Ordnung?« Er bedachte Robert mit einem gezielten Seitenblick, bevor er sich wieder Anna zuwandte. »Ich hab mir Sorgen gemacht, als dein Auto plötzlich auf den Platz geschleppt wurde.«
Anna lächelte kurz. »Es ist nichts passiert. Alles bestens. Nur den Stoff habe ich nicht bekommen.«
Bei dieser Bemerkung hob Roberts Laune sich wieder. Sie hatte offenbar Geheimnisse vor diesem Apotheker. Welcher Art diese waren, würde er noch herausfinden. Natürlich ging es ihn nicht das Geringste an, aber er hatte soeben entschieden, dass das keine Rolle spielte. Er konnte sich nicht erinnern, je im Leben einer Frau begegnet zu sein, die ihn derart fasziniert hatte. Am liebsten hätte er alles über sie in Erfahrung gebracht, und zwar möglichst sofort.
»Wenn du willst, können wir ja am Wochenende nach Göteborg fahren«, schlug Bertil vor. »Vielleicht findest du da einen passenden Vorhangstoff.«
»Trinkst du ein Glas Wein mit uns, Bertil?« Silvia hatte sich auf ihre Pflichten als Gastgeberin besonnen und deutete auf einen freien Stuhl, bevor sie in Roberts Richtung fortfuhr: »Ach, übrigens, das ist Annas Verlobter, Bertil Svensson.«
»Ich weiß«, sagte Robert. »Wir haben uns schon kennen gelernt.« Er wandte sich Anna zu und erlaubte sich ein winziges Zwinkern. »Als ich ihr Auto abgeliefert habe.«
Sie schaute ihn neugierig an, und für einige Sekunden blieben ihre Blicke ineinander hängen. Dann schlug sie die Augen nieder und griff nach der Weinflasche, um ein Glas für Bertil einzuschenken.
Berta servierte den Nachtisch, Äpplepaj mit Vanillesoße 10 , und sorgte damit für weitere Ablenkung.
»Wenn Sie mir gesagt hätten, dass Sie zu den Blomquists wollen, hätte ich Sie doch gefahren«, sagte Bertil. »Oder Sie wenigstens zum Hotel gebracht.«
»Herr Dahlström wohnt hier bei uns im Gästehaus«, warf Silvia ein. »Ist praktischer so. Da ist er gleich vor Ort. Er möchte sich natürlich erst alles genau ansehen, bevor er sich entscheidet.«
»Möchte er das?«, fragte Harald. Seine lauernden Blicke streiften Robert, bevor er abrupt aufstand und dabei fast den Stuhl umwarf. »Na, dann wünsche ich dabei recht viel Vergnügen!« Er marschierte mit durchgedrücktem
Kreuz und hoch erhobenem Kopf ins Haus. Sein ganzer Körper signalisierte gekränkte Würde und kaum unterdrückte Wut.
Robert schaute ihm ebenso wie die anderen nach. Er war sich nicht schlüssig, was das alles zu bedeuten hatte, doch er hatte keinen Zweifel, dass die weitere Entwicklung der Dinge ausgesprochen interessant werden würde.
*
Anna lag bäuchlings auf ihrem Bett und blätterte in den Unterlagen, die Brodersten ihr mitgegeben hatte. Sie hatte zwar gewusst, dass Kreuzfahrtschiffe groß waren, aber die tatsächlichen Ausmaße
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