Mittsommerzauber
sondern dass er sich ganz einfach vor Veränderungen in seinem Leben fürchtete.
»Ich vermute, dass das Ziel gar keine Rolle spielt«, sagte sie. »Hauptsache, sie bekommt wieder Luft.«
»Wieso hat sie mir nicht gesagt, dass sie bei mir keine Luft bekommt? Bin ich ein Unmensch?«
Diese Vorstellung war so absurd, dass Silvia lachen musste. »Ein Unmensch? Ich würde sagen, auf dich trifft genau das Gegenteil zu.« Sie wurde wieder ernst. »In jedem Fall bist du jemand, dem man nicht wehtun möchte. Vielleicht gibt dir das zu denken, vor allem, was Anna betrifft.«
Sie hoffte, dass sie es ihm auf diese Weise leichter machen konnte, doch als sie ihn kurz darauf mit hängenden Schultern über den Markt davongehen sah, wuchs ihre Befürchtung, dass seine Probleme erst begonnen hatten.
*
Robert lag auf einen Ellbogen aufgestützt neben Anna und gab sich dem sinnlichen Vergnügen hin, sie einfach nur zu betrachten. Sie hatten sich auf einem flachen Felsen unweit des Wasserfalls ausgestreckt und ließen ihre Körper von der Sonne trocknen. Ihm war immer noch ziemlich kalt, doch das anfängliche Bibbern hatte rasch nachgelassen, sobald sie aus dem Wasser geklettert waren und die Sonne auf der Haut hatten.
Seine Sachen würden noch eine Weile brauchen, bis sie trocken waren, doch das scherte ihn nicht weiter, weil er Kleidung zum Wechseln dabeihatte. Silvia hatte gemeint, dass es ungefähr eineinhalb Tage dauerte, den ganzen Besitz zu besichtigen, folglich war geplant, dass sie eine Nacht im Hotel des nächstgelegenen Ortes übernachteten.
Anna lag auf dem Rücken, die Arme unter dem Kopf verschränkt und den Körper von Kopf bis Fuß der Sonne dargeboten. Sie hatte die Lider geschlossen, und Robert sah, dass ihre Augäpfel sich unruhig bewegten. Sie war vor einer Weile eingeschlafen, und er hatte aufgehört, sie zu streicheln, weil er sie nicht stören wollte.
Es fiel ihm schwer, sie nicht zu berühren. Seine Hände schienen ein Eigenleben entfalten zu wollen, sobald er sie nur ansah. Eine Zeit lang hatte er sich damit beschäftigt, einen Makel an ihr zu suchen, und zunächst war er davon überzeugt gewesen, dass jeder Zentimeter ihres biegsamen, durchtrainierten Körpers perfekt war. Doch dann hatte er zu seiner Freude die Narbe an ihrem rechten Knie entdeckt. Und gleich darauf eine weitere, größere Narbe, die zweifelsfrei von einer Operation stammte. Er sah nur einen Teil davon, denn der Rest verschwand unter dem Bund ihres weißen Slips. Wahrscheinlich war ihr der Blinddarm herausgenommen worden. Auf ihrer Nase tummelten sich Dutzende von Sommersprossen - eigentlich kein
Schönheitsfehler, nur eine hübsche kleine Pigmentierung, die den Reiz ihrer Züge erhöhte.
Ihre rechte Brust war um eine Winzigkeit größer als die linke, eine sympathische Ungleichheit, die bei vielen Frauen vorkam. An ihren Schenkeln zeigte sich ein feines Gespinst dünner Dehnungsstreifen, wie sie sich ebenfalls bei den meisten Frauen fanden. Dennoch tat keine dieser kleinen körperlichen Unvollkommenheiten ihrer strahlenden Schönheit den geringsten Abbruch, im Gegenteil: Sie machten aus der Göttin einen Menschen, eine warme, lebendige Frau.
Ein Windstoß fuhr über den Felsen hinweg, und ein rascher Blick zum Himmel zeigte Robert, dass Wolken aufgezogen waren. Er streckte die Hand aus, um Anna zu wecken. Sacht malte er mit der Fingerspitze Kreise auf der weichen Haut ihres Bauches. Ihre Lider flatterten und öffneten sich, und als ihr Blick auf ihn fiel, wirkte sie einen Moment lang desorientiert. Dann zog sie die Arme hinter ihrem Kopf hervor und schlang sie ihm um den Hals. Er beugte sich zu ihr, um sie zu küssen. Sie war ganz nah bei ihm, Haut an Haut, und als ihre Münder verschmolzen, gab es außer ihnen nur noch das Rauschen des Wasserfalls.
Ein Donnerschlag beendete unsanft den leidenschaftlichen Moment, und Robert fuhr hoch, als im nächsten Augenblick Regen auf sie niederprasselte. Sie hielten sich nicht damit auf, sich anzuziehen - Roberts Kleidung war ohnehin nass -, sondern rafften nur alles zusammen und rannten los.
Er schlug die Richtung ein, in der sie den Wagen abgestellt hatten, doch irgendwie mussten sie vom Weg abgekommen sein, denn es ging weiter bergauf, und wenige Minuten später erreichten sie einen Wildbach.
»Wir haben uns verlaufen«, rief er, doch Anna schüttelte den Kopf und zeigte auf die andere Seite des Baches, wo eine Holzhütte stand.
»Da drüben ist unser altes Forsthaus. Komm mit!«
Sie
Weitere Kostenlose Bücher